Bildung/Gemeinschaftsschulen

Anita Klahn: Für Rot-Grün-Blau gilt: Kurze Beine, lange Wege – lange Beine, kurze Wege

„Vielen Dank für ihren Bericht. Besonders interessant ist, was Sie in ihren Ausführungen nicht erwähnen. Es ist beeindruckend, wie einseitig Sie den Sachverhalt darstellen. Herzlichen Glückwunsch, Sie stehen Ihrer Amtsvorgängerin in nichts nach und folgen ihren Fußstapfen. Ich will dagegen ein realistisches Bild zeichnen, welche – in der Gesamtschau – negativen Auswirkungen die Schaffung zusätzlicher Oberstufen an Gemeinschaftsschulen hat.

 

Der Bericht sollte ja darstellen, wie die Entscheidungsfindung für eine Genehmigung einer neuen Oberstufe lief.

 

Dazu möchte ich erinnern, dass die Koalition erst einmal das Schulgesetz ändern musste, damit überhaupt eine neue Oberstufe genehmigt werden konnte. Denn in der alten Fassung des Schulgesetzes hieß es, dass eine neue Oberstufe immer dann errichtet werden konnte, wenn

 

‚ein öffentliches Bedürfnis besteht, das nicht durch Aufnahmemöglichkeiten an […] einer anderen Schule gedeckt werden kann.‘

 

Dieser vernünftige Passus musste durch die Koalition gestrichen werden, da wir nachweislich genügend Aufnahmekapazitäten an Oberstufen von allgemeinbildenden oder beruflichen Gymnasien haben.

 

Vielleicht helfen auch hier ein paar Zahlen weiter. An den neu eingerichteten Oberstufen gibt es im aktuellen Schuljahr 801 Schüler. Allein jedoch an den beruflichen Gymnasien könnten nach Berechnungen des Landesrechnungshofes ohne Umbaumaßnahmen 2500 Schüler zusätzlich aufgenommen werden und auch an den allgemeinbildenden Gymnasien sind die Kapazitäten nicht ausgeschöpft.

 

Stattdessen zauberte die Landesregierung irgendwelche Potenzialanalysen aus dem Hut und rechnete Standorte groß, um dort eine neue Oberstufe begründen zu können. Leider war von den Zahlen wirklich nichts nachvollziehbar.

 

So konnte man den Akten entnehmen, dass die Fachabteilung z.B. kein Potenzial für die Standorte Bordesholm, Nortorf, Büchen und Lauenburg sahen. Die Hausspitze interessiert das aber wenig, die Oberstufen wurden trotzdem genehmigt, nachdem die Rahmenbedingungen laut Frau Ministerin Wende damals ‚natürlich modifiziert wurden‘.

 

Exemplarisch nenne ich Sandesneben. Hier wurde die Genehmigung tatsächlich zuerst durch das Ministerium verweigert, dann aber kein halbes Jahr später doch erteilt. Aufgrund einer kurzfristigen ungeahnten Bevölkerungsvermehrung oder doch eher aufgrund politischen Drucks? Interessant ist auch, dass bei den ganzen Berechnungen öffentlich von der Landesregierung eine Abbrecherquote von 10 Prozent angenommen wurde, die Fachabteilung intern aber von fast 20 Prozent ausgegangen ist.

 

Klar ist, dass das öffentliche Bedürfnis bei der Errichtung der weiteren Oberstufen keine Rolle spielt, sondern allein das rot-grün-blaue Parteibedürfnis maßgeblich ist.

 

Auch bildungspolitisch ist die Schaffung neuer Oberstufen ein riesiger Fehler. Mit den neuen Oberstufen werden kleine Einheiten geschaffen, für die gesondert Lehrerressourcen aufgewendet werden. Das sind Lehrer, die aus den übrigen Schulen abgezogen werden müssen. Es bluten also alle anderen Schulen für die rot-grün-blauen Mini-Oberstufen.

 

Handewitt z.B. hat einen Jahrgang mit 19 Schülern. Jedem Grundschulstandort hätte Rot-Grün-Blau bei dieser Schülerzahl schon lange den Garaus ausgemacht. Bei den neuen Oberstufen jedoch ist das alles vertretbar.

 

Um den Schülerinnen und Schülern aber gerade in der Oberstufe ein breites Angebot der Wissensvermittlung machen zu können, braucht man eine ausreichende Schülerzahl.

 

Kleine Oberstufen begrenzen also die Profilangebote an den neuen Oberstufen stark. Sprachliche Profile sucht man fast vergeblich an diesen Schulen, obwohl die entsprechende Verordnung aus gutem Grund vorsieht, dass ein mathematisch-naturwissenschaftliches und ein sprachliches Profil angeboten werden sollen.

 

Gerade Sprachfertigkeiten gewinnen in unserer globalisierten Welt immer stärker an Bedeutung. Die bei den Schülern beliebten sportlichen und ästhetischen Profile gibt es an diesen Oberstufen auch kaum.

 

Es ist ein Trauerspiel, dass dieses Angebot den Schülerinnen und Schülern nicht gemacht werden kann. Fakt ist also, das die gesamte Profilvielfalt unter den neugeschaffenen Oberstufen leidet. Dazu steht zu befürchten, dass Gymnasien in Zukunft ebenfalls an Profilvielfalt einbüßen, da sich die Schüler auf viele kleine Oberstufen verteilen werden. Damit sind Sie dann wieder einen Schritt weiter auf dem Weg zur einen Schule für alle.

 

Ein großes Problem ist auch, dass an den Schulen mit neueingerichteten Oberstufen gar nicht genügend Lehrer mit der Lehrbefähigung für die Oberstufe vorhanden sind.

 

Für uns ist klar: Auf den Lehrer kommt es an. Dass die neugeschaffenen Oberstufen an Gemeinschaftsschulen nicht ausreichend Lehrerkräfte mit entsprechender Lehrbefähigung für die Oberstufe haben, ist eine dramatische Situation und spricht nicht für die Qualität in unserem Bildungssystem.

Besonders dramatisch ist die Situation im Mint-Bereich. Im Kernfach Mathematik gibt es lediglich in knapp der Hälfte der Schulen entsprechend ausgebildete Lehrer und im Fach Physik fast überhaupt keine.

 

Die neugeschaffenen Oberstufen an den Gemeinschaftsschulen sind, wie dargestellt, sehr kleine Einheiten. Folge ist, dass auch der Unterrichtsausfall schlechter kompensiert werden kann. Eltern und Schüler müssen wissen, dass an den Gemeinschaftsschulen mit Oberstufen im Vergleich mehr Unterricht ausfällt als an allgemeinbildenden Gymnasien oder Beruflichen Gymnasien, weil natürlich einfach nicht so viele Lehrkräfte mit entsprechender Lehrbefähigung zur Verfügung stehen. Wenn dort eine Fachlehrkraft ausfällt, ist es fast unmöglich, diesen Ausfall intern adäquat zu vertreten.

 

Einen positiven Punkt will ich dann doch noch hervorheben. Für die Errichtung weiterer Oberstufen spricht natürlich, dass erwachsene Oberstufenschüler einen nicht mehr so weiten Schulweg haben und ihnen nicht mehr zugemutet werden muss, in die nächste Stadt zu fahren. Das ist natürlich ein enormer Erfolg, insbesondere vor dem Hintergrund dass die Landesregierung immer mehr kleine Grundschulstandorte schließt. Für Rot-Grün-Blau gilt also: Kurze Beine, lange Wege – lange Beine, kurze Wege.

 

Auch finanziell ist die Errichtung weiterer Oberstufen Wahnsinn. So hat z.B. die Stadt Neumünster Millionen investiert, um ihre Gymnasien zu modernisieren. Und was macht die Bildungsministerin, sie pflanzt der Stadt in Bordesholm und Nortorf in unmittelbarer Nähe zwei weiterer Oberstufenangebote vor die Tür. Folge ist, dass Neumünster natürlich Schulkostenbeiträge verliert und so seine Investitionen schlechter refinanzieren kann. Und was machen Bordesholm und Nortorf? Die investieren natürlich auch in ihren Schulen, um überhaupt ein Oberstufenangebot zu ermöglichen. Hier mit der Gefahr, dass es Investitionsruinen werden, weil das Oberstufenangebot nicht gehalten werden kann. So liegen die Klassenstärken an diesen beiden Oberstufen momentan bei 36 und 21 Schülern. Das ist doch alles Irrsinn und das Gegenteil von guter Politik.

 

Sie verschärfen den Konkurrenzkampf zwischen Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe und Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe, ebenso zwischen allgemein- und berufsbildenden Gymnasien sowie Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe. Mit ihrer Politik machen sie unsere Schulen kaputt und damit die Zukunft unserer Kinder!“