Soziales/Friesenhof

Anita Klahn: Ministerin Alheit trägt die Verantwortung

„Anfang dieses Monats erfuhren wir erst aus Medienberichten von offensichtlich unhaltbaren und menschenunwürdigen Erziehungsmethoden und Zuständen in den Friesenhof-Einrichtungen. Hochauffälligen Mädchen, die in ihrem Leben aktive und passive Gewalt, auch sexuelle, erlebt hatten, die Straftaten und Drogenerfahrungen kannten, sollten in hier in einer neuen Umgebung eigentlich einen Neustart schaffen.

 

Dazu hätte es eines stringenten und strukturierten pädagogischen Programmes mit starken therapeutischen sowie erlebnispädagogischen Elementen bedurft. Kleine Gruppen, eine erhöhte Anzahl von Fachpersonal mit hoher Fachlichkeit und auf jeden Fall die Einbindung eines Psychologen wären konzeptionelle Grundvoraussetzung für eine gelingende Therapie gewesen.

 

Stattdessen erlebten die Schutzbefohlenen erniedrigende und entwürdigende Maßnahmen, eine Verletzung ihrer Intim- und Privatsphäre durch ihre Betreuer – ohne Chance auf Gehör.

 

Frau Ministerin Alheit, Sie betonten in den letzten Tagen wiederholt, dass Ihnen das Thema Kindeswohl und die Schutz- und Hilfegewährung von Jugendlichen ein wichtiges persönliches Anliegen sei. Ich teile dies und möchte Ihnen auch gern glauben. Die Frage ist, welche Bedeutung hatte Ihr wichtiges Anliegen im Ministeriumsalltag, wenn Sie, wie Sie selbst sagen, keine Informationen zu den Vorgängen um den Friesenhof hatten?

 

Seit 2007 belegt der Kreis Dithmarschen die Einrichtungen des Friesenhof nicht mehr, dokumentierte Beschwerden gibt es mindestens seit Februar 2014, im Mai 2014 beschreibt ein Fachartikel einer Familienrichterin über den Friesenhof, dass dort Mädchen faktisch in geschlossenen Heimen untergebracht seien, obwohl es diese in Schleswig-Holstein eigentlich nicht gibt, elf Inobhutnahmen durch das Dithmarscher Jugendamt innerhalb von 15 Monaten, das sexuelle Verhältnis zwischen einem Betreuer und einem Mädchen, Kontrollbesuche durch die Heimaufsicht selbst und Auflagen zur Ausgestaltung der Arbeit in der Einrichtung, dazu ein Beschwerdebrief eines Mitarbeiters wegen überzogener Auflagen.

 

Und von all diesen Vorgängen will die Ministerin nichts gewusst haben? In über einem Jahr seit März 2014 soll kein Wort zu all diesen Vorfällen an die Ministerin gelangt sein? Frau Ministerin, wenn das so ist, dann sind Sie in ihrem Amt heillos überfordert.

 

Wie definieren Sie Kindeswohl? Was sind für Sie besondere Ereignisse, über die Sie unverzüglich informiert werden wollen. Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen? Womit haben Sie sichergestellt, dass Sie über Vorgänge zum Themenkomplex ‚Kindeswohl‘ informiert werden, insbesondere wenn es Ereignisse von besonderer Bedeutung sind?

 

Insbesondere vor dem Hintergrund der vielen schrecklichen Vorkommnisse in der Jugendhilfe in den letzten Jahren in Deutschland erwarte ich eine ausgeprägte Sensibilität bei den für die Fachaufsicht zuständigen Einrichtungen und insbesondere dem zuständigen Ministerium. Dazu gehört auch die Organisation eines schnellen und konsequenten Krisenmanagements, das hier offensichtlich fehlte. Auch die Eskalation im Zusammenhang mit der Schließung der Einrichtung hätte nicht passieren dürfen.

 

Für solche gravierenden Organisationsfehler tragen Sie, Frau Alheit, als Ministerin die Verantwortung.

 

Für mich sind Inobhutnahmen aus Jugendhilfeeinrichtungen von besonderer Bedeutung und besonders schwerwiegend. Frau Ministerin, Sie haben das abgetan, als sei es nichts Ungewöhnliches. Aber ich sage Ihnen: Das ist es nicht. Ja, Inobhutnahmen kommen öfter vor. Der normale Vorgang ist jedoch, dass Kinder aus schwierigen Familiensituationen in Obhut genommen werden.

 

Es war ein außergewöhnlicher Vorgang. Warum hat die Landesregierung hier nicht gehandelt?

 

Artikel 10 unserer Verfassung stellt alle Kinder und Jugendlichen unter den besonderen Schutz des Landes. Es ist Ihre Aufgabe, dieses Verfassungsziel in Ihrem Aufgabenfeld zu gewährleisten, doch bei diesen Mädchen haben Sie versagt, Frau Ministerin. Die Landesregierung war untätig und hat erst unter öffentlichen Druck gehandelt.

 

Wenn dieser Vorgang nicht öffentlich geworden wäre, ist davon auszugehen, dass die Landesregierung immer noch nicht gehandelt hätte und die Mädchen, so wie es die Familienrichterin aus Meldorf beschreibt, immer noch dem erhöhten Risiko des Missbrauchs ausgesetzt wären. Frau Ministerin, es ist wirklich ein Armutszeugnis, dass sie nicht zu Ihrer politischen Verantwortung stehen.“