Annabell Krämer zu TOP 4 u.a. ,,4. Nachtrag zum Haushaltsplan, Nothilfeprogramm Corona"

Landtagsvizepräsidentin und finanzpolitische Sprecherin der FDP Landtagsfraktion Schleswig-Holstein, Annabell Krämer

In ihrer Rede zu TOP 4+13+14+16 (Beratungen über den 4. Nachtrag zum Haushaltsplan 2020, Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021, Nothilfeprogramm Corona, Finanzanlagenstrategie und Schuldentilgungsplan) erklärt die finanzpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Annabell Krämer:

,,Die Corona-Pandemie wirft ihren Schatten auf unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben. Das kann auch an den öffentlichen Kassen nicht spurlos vorbeigehen. Es ist die bittere Ironie, dass wir im ersten Jahr der Schuldenbremse ihre temporäre Aussetzung beschließen müssen. Es ist bitteres Schicksal, dass wir nach jahrelanger Rosskur wieder in die roten Zahlen rutschen, weil uns hohe Steuerausfälle und finanzielle Verpflichtungen treffen. Wir haben uns diese Herausforderung nicht ausgesucht, aber wir nehmen sie an. Mit der vorliegenden Fassung zur Erweiterung des Nothilfe- programms Corona stellen wir die haushaltspolitischen Weichen für die nächsten Jahre.

Wir stellen erstens die Weichen dafür, dass Land und Kommunen in dieser Krise handlungsfähig bleiben. Wir stellen zweitens die Weichen für einen verbindlichen Einsparpfad, der sich über mehrere Jahre erstreckt und brachiale Haushaltskürzungen vermeidet. Und drittens stellen wir die Weichen, dass der Abbau des Sanierungsstaus planmäßig voranschreiten kann und unsere Infrastrukturinvestitionen gesichert sind. Diese elementaren Ziele erkaufen wir uns mit weiteren Notkrediten von bis zu 4,5 Milliarden Euro.

Hinzu kommen noch die erste Corona-Milliarde, die wir bereits vor dem Sommer beschlossen hatten, sowie konjunkturelle Kredite bis 2024 in Höhe von rund 1,7 Milliarden Euro, wenn sich die September-Steuerschätzung bewahrheiten sollte. In der Summe wird sich unser Schuldenberg also um

7,2 Milliarden Euro erhöhen. Das sind umgerechnet etwa 2.500 Euro für jeden Schleswig-Holsteiner.

Damit hat die Corona-Krise für unser Land die finanzielle Dimension des Ka- pitels HSH Nordbank erreicht. Das ist eine weitere bittere Erkenntnis und doch unterscheiden sich die beiden Sachverhalte grundlegend. Mit den HSH-Milliarden mussten die Steuerzahler für Größenwahn und Inkompetenz bluten. Kein Cent dieses Geldes ist bei den Menschen in Schleswig-Holstein gelandet. Ganz anders bei den Corona-Milliarden, die wir heute beschließen:

Dieses Geld kommt unseren Bürgern tatsächlich zugute, denn es stärkt die Konjunktur, sichert Arbeitsplätze und ermöglicht, weiter in Bildung und Inf- rastruktur zu investieren. Und doch hoffen wir, dass am Ende so wenige Kredite wie möglich gebraucht werden. Dieses Ziel hat auch den vorliegen- den Antrag mitgeprägt. Der Beschlusstext beschränkt die Kreditaufnahme auf bestimmte Zeiträume und für konkrete Zwecke.

 

Wir Parlamentarier erteilen heute dieser und folgenden Regierungen ­ das möchte ich betonen ­ keinen Blankoscheck über 4,5 Milliarden Euro! Das gäbe bereits unsere Landesverfassung nicht her, denn die Verwendung von Notkrediten muss in Bezug zur außergewöhnlichen Notsituation stehen.

Deshalb bin ich froh, dass wir präzise Regelungen gefunden haben, die einer Inanspruchnahme der Notkredite wirksam Grenzen setzen: Wie sehen diese Regelungen konkret aus? Die 1,425 Milliarden Euro zur Abfederung der Steuermindereinnahmen dienen ausschließlich dazu, die strukturellen Defi- zite der Jahre 2021 und 2022 vollständig und die der beiden Folgejahre hälf- tig zu finanzieren. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass die andere Hälfte der strukturellen Defizite 2023 und 2024 durch Einsparungen ausgeglichen werden muss.

 

Außerdem legen wir heute verbindlich fest, ­ und das ist noch nicht deutlich genug zutage getreten ­ dass strukturelle Verbesserungen zukünftiger Steuerschätzungen die erlaubte Inanspruchnahme der Notkredite in dersel- ben Höhe reduzieren. Einfacher ausgedrückt: Sind die Steuereinnahmen besser als geplant, stehen entsprechend weniger Kreditmittel zur Verfü- gung. Strukturelle Mehreinnahmen, die sich in den Jahren 2021 bis 2024 ergeben sollten, verringern somit die erlaubte Kreditaufnahme. Folglich kann der Landeshaushalt nicht kreditfinanziert aufgebläht werden, wenn sich die Einnahmesituation aufhellen sollte. Etwaige Mehreinnahmen fließen zwingend in die Haushaltskonsolidierung.

 

Kommen wir zu den 2,5 Milliarden Euro zur Absicherung unserer geplanten Investitionen bis 2030. Wofür stehen diese Mittel konkret zur Verfügung?

Diese Mittel dürfen ausschließlich zur Absicherung des IMPULS-Programms sowie für die im Umdruck 16/4606 festgestellten zusätzlichen Investitions- bedarfe in Anspruch genommen werden. Um auch hier deutlich zu werden, diese Mittel sind eindeutig zweckgebunden. Selbstverständlich steht es zukünftigen Parlamenten frei, auf die Umsetzung dieser geplanten Investitionen zu verzichten. Sollte aber darauf verzichtet werden, erlischt die Kreditermächtigung in der Höhe, in der sie für die gestrichenen Maßnahmen vor- gesehen war. Ferner stellen wir 150 Millionen Euro für den Infektions- und Gesundheitsschutz zur Verfügung. Diese Mittel dienen überwiegend der Sicherstellung ausreichender Impf- und Testkapazitäten sowie der Finanzierung weiterer Herausforderungen im Gesundheitswesen. Die 425 Millionen Euro für den Stabilitätspakt mit unseren Kommunen sind unser Beitrag, da- mit auch unsere Städte und Gemeinden in der Krise leistungsfähig bleiben.

Dass Jamaika gut mit Geld umgehen kann, hat es bereits in den letzten drei Jahren bewiesen. Dank der genannten Regelungen ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den riesigen Kreditermächtigungen auch rechtlich abge- sichert. Dafür haben wir uns als Freie Demokraten im Vorfeld ganz beson- ders eingesetzt. Mit dem Beschluss über die Notkredite schlagen wir einen verbindlichen Einsparpfad ein. Dieser Einsparpfad erstreckt sich vernünftigerweise über mehrere Jahre, um die konjunkturelle Erholung nicht abzuwürgen. Spätestens 2025 wollen wir wieder zu strukturell ausgeglichenen Haushalten zurückkehren. Durch die ab 2024 einsetzende Tilgung der Not- kredite wird das Land sogar wieder im Plus sein. Doch so einfach auch die Theorie ist, so schwierig wird die Umsetzung. Mittelfristig werden wir rund eine halbe Milliarde Euro im Landeshaushalt einsparen müssen ­ trotz aller Notkredite! Der Konsolidierungsdruck bleibt also hoch und der Spielraum für zusätzliche Wünsche ist praktisch nicht vorhanden. Daraus ziehen wir Freie Demokraten zwei Schlüsse: Erstens fühlen wir uns in unserer Position bestärkt, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren sollte, anstatt sich allzuständig zu fühlen und den eigenverantwortlichen Bürger zu entmündigen. Das muss sich dann auch im Haushalt in Form einer klaren Priorisierung auf Bildung und Infrastruktur, Polizei und Justiz widerspiegeln.

Zweitens müssen wir Wirtschaftswachstum wieder als ein zentrales Politikziel definieren, zumal wir nur dann Kraft und Mittel haben werden, um drängende Probleme wie Altersarmut oder den Klimawandel anzugehen. Mittlerweile sollten auch alle die, die Wachstum verteufelt haben, erkannt ha- ben, dass wir unsere sozialen und ökologischen Standards auf Dauer ohne Wachstum nicht erhalten können. Umverteilungskämpfe würden zwangsläufig gesellschaftliche Gräben in unserem Land vertiefen. Der wirtschaftliche Einbruch in diesem Jahr ist unmittelbare Folge der Pandemie, daran besteht kein Zweifel. Als Mitglied einer optimistischen Partei bin ich überzeugt: Sobald wir die Einschränkungen unseres Alltags und die große Unsicherheit überwunden haben, wird sich die Wirtschaft schnell wieder erholen. Das sagen uns auch die Wirtschaftsforschungsinstitute. Aber wir dürfen nicht verdrängen, dass die deutsche Industrie bereits vor Corona in der Rezession steckte, was mit strukturellen Problemen zu tun hat, die sich jetzt nicht in Luft aufgelöst haben.

Ich nehme Kritik unserer Wirtschaft wahr, die zu Recht eine ,aberwitzige Regulierungswut` der Großen Koalition beklagt und Vorhaben wie beispielsweise das Lieferkettengesetz anführt, das an sich schon ein Irrweg ist, aber jetzt wirklich zur Unzeit kommt. Was unsere mittelständischen Unternehmen brauchen, sind keine weiteren Knüppel zwischen den Beinen, sondern mehr Freiheiten, damit sie die Kraft darauf verwenden können, im Wettbewerb zu bestehen und ihre Beschäftigten in Lohn und Brot zu halten. Das ist eine Forderung, die weit über die hier einmütig beschlossene Stabilisierung in Not geratener Betriebe und Branchen hinausgeht. Nur eine wachstumsfreundliche Politik sichert auf Dauer gute Steuereinnahmen und kann unsere Einsparzwänge in den Folgejahren lindern.

Blicken wir auf den Haushaltsentwurf 2021. Selbstredend sind keine großen Sprünge zu erwarten. Umso erfreulicher ist es, dass wir den Ansatz für Investitionen nochmals auf knapp 1,4 Milliarden Euro erhöhen. Bereits im IST des Jahres 2018 haben die Investitionen die Marke von einer Milliarde Euro überschritten. Wir halten also unsere Versprechen und gehen den Abbau

des Sanierungsstaus tatkräftig an. Noch liegt eine lange Wegstrecke vor uns. Viele Verkehrsprojekte, aber auch andere Infrastrukturvorhaben benö- tigen eine jahrelange Vorlaufzeit, was unsere Geduld immer wieder auf die Probe stellt. Deshalb bleibt die Vereinfachung des Planungsrechts eine drängende Aufgabe, der sich die Bundesregierung endlich stellen muss.

Auch dem Letzten sollte bewusst sein, dass unser Planungsrecht mittlerwei- le zu einem Planungsverhinderungsrecht mutiert ist. An der Mittelbereitstel- lung auf Landesebene wird die Modernisierung unserer Infrastruktur aber nicht mehr scheitern. Denn mit dem Beschluss über die Notkredite stellen wir bis zu 2,5 Milliarden Euro zur Absicherung des IMPULS-Programms und für weitere Investitionen bereit. Wie wichtig dieser Beschluss ist, zeigt sich daran, dass sich IMPULS in den letzten Jahren aus Haushaltsüberschüssen speiste, die uns in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Dank der Notkredite sind die heute festgestellten Sanierungsbedarfe bis zum Jahr 2030 auch ohne Haushaltsüberschüsse in der Zukunft ausfinan- ziert. Dies ist ein starkes Signal für die Bürger und Unternehmen in Schleswig-Holstein: Corona tut der Modernisierung unseres Landes keinen Abbruch!

In den letzten Jahrzehnten haben Bund, Länder und Kommunen viel zu we- nig investiert. Während unsere europäischen Nachbarn im Durchschnitt rund drei Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftskraft für öffentliche Investitionen aufwenden, investiert Deutschland nur etwas mehr als zwei Prozent und damit rund ein Drittel weniger als international üblich. Diese Investitionslücke bestand übrigens schon vor Einführung der Schuldenbremse und hat sich danach ­ wenn überhaupt ­ eher leicht verringert. Die Schuldenbremse war und ist somit nicht das Problem, sondern eine falsche Prioritätenset- zung der Politik, die viel zu lange und teilweise bis heute Konsumausgaben den Vorzug gegeben hat. Aber den Verschleiß unserer Infrastruktur und ei- nen wachsenden Modernisierungsrückstand können und dürfen wir uns nicht länger erlauben. Jamaika hat das Problem erkannt und steuert in Schleswig-Holstein seit dem ersten Tag der Koalition dagegen an. Die ers- ten Erfolge dieser kontinuierlichen Arbeit werden sichtbar, etwa bei den Landesstraßen, die schrittweise wieder in einen guten Zustand gebracht werden, auch wenn die vielen Baustellen im Land manche Nerven strapazie- ren. Es geht vorwärts! Auch die Modernisierung der Hochschulen oder der Ausbau des Glasfasernetzes schreiten voran. Die Kommunen unterstützen wir übrigens mit 275 Millionen Euro zur Kompensation von Steuerausfällen auch deshalb, damit sie an ihren geplanten Investitionsvorhaben festhalten.

Denn auch für unsere Städte und Gemeinden ist der Abbau des Sanierungsstaus eine drängende Aufgabe, um funktionsfähig und lebenswert zu bleiben. Wir dürfen uns keinen Stillstand erlauben! Deshalb begrüßen wir es, dass den Kommunen zusätzliche 150 Millionen Euro Infrastrukturmittel für Investitionen im Bereich Schule, Klimaschutz und Mobilität bereitgestellt werden. Hieraus finanzieren wir auch den bisherigen Gemeindeanteil am Bundesprogramm für Ganztagsbetreuung in Schulen. Auch von Umschichtungen innerhalb der ersten Corona-Milliarde profitieren unsere Kommunen.

So stehen 2021 bis 2023 insgesamt 120 Millionen Euro Landesmittel für den Schulbau zur Verfügung.

Der Haushaltsentwurf 2021 knüpft im Übrigen nahtlos an den Haushalt des laufenden Jahres an. So setzen wir den geplanten Stellenaufwuchs in der Justiz und bei der Polizei fort. Bei der Polizei investieren wir weiter konsequent in die Verbesserung der Aus- und Fortbildung, insbesondere, um die Anwärterinnen und Anwärter angemessen und zeitgemäß auf den Polizeidienst vorzubereiten. Denn eine gut ausgebildete Polizei ist eine Grundvoraussetzung für die Gewährleistung von Sicherheit und den Erhalt des Vertrauens in die Schutzfunktion des Staates. Insgesamt mehr Qualität, ein verlässliches und faires Finanzierungssystem sowie ein bezahlbarer Beitrags- deckel ­ dies war und ist der Dreiklang, der unsere Kita-Reform von Anfang an bestimmte. Mit dem Haushalt 2021 werden wir nun auch hier Fakten schaffen und die Reform trotz der pandemiebedingten Verzögerung vollständig umsetzen. Allein zur Umsetzung des Standard-Qualitäts-Kosten- Modells stellen wir im Haushalt über eine halbe Milliarde Euro bereit.

Mit dem Beschluss über die Notkredite geben wir haushaltspolitisch den Weg für die nächsten Jahre vor. Es ist gut, dass wir einen fraktionsübergreifenden Konsens gefunden haben, ja finden mussten, weil der heutige Beschluss eine Bindungswirkung über die aktuelle Legislaturperiode hinaus entfaltet: sowohl, was die Verfügbarkeit der Kreditmittel betrifft als auch hinsichtlich der Ausgestaltung des unvermeidlichen Einsparpfades und der verpflichtenden Tilgung, die sich über maximal 40 Jahre erstrecken wird.

Der heutige Beschluss fällt uns nicht leicht, denn wir schränken künftige Haushaltsgesetzgeber durch Zins und Tilgung in ihren Gestaltungsmöglichkeiten erheblich ein. Das sollte uns allen bewusst sein! Doch auch wenn wir uns über einzelne Maßnahmen streiten können, die wir aus der Nothilfe finanzieren wollen oder bereits finanziert haben ­ im Großen und Ganzen ist das Paket aus meiner Sicht notwendig, sinnvoll und verantwortbar.

Es ist zwingend erforderlich, Land und Kommunen in dieser Krise hand- lungsfähig zu halten. Und wir verschaffen uns die erforderlichen Mittel, um die Infrastruktur auch weiterhin auf Vordermann zu bringen, damit Schles- wig-Holstein lebenswert bleibt und wirtschaftlich aufholen kann. Wir setzen uns allen ein klares Ziel, um die Haushaltsdefizite nach der Krise wieder abzubauen und sorgen vor, dass Steuermehreinnahmen nicht verfrühstückt werden, sondern die Neuverschuldung reduzieren. Das ist ein vernünftiger Kurs, den wir heute gemeinsam einschlagen. Hoffen wir, dass sich die wirt- schaftliche Erholung fortsetzen kann und im nächsten Jahr verstärkt. Und vertrauen wir auf die Stärke und Innovationskraft unserer Unternehmen, sich aus der Krise wieder herauszuarbeiten, neue Chancen zu ergreifen und Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn die Politik unsere Unternehmen darin bestärkt, anstatt ihnen ständig neue Steine in den Weg zu legen, bin ich mir sicher, dass unsere Steuerquellen bald schon wieder sprudeln werden."