Christopher Vogt zu TOP 1 „Aktuelle Stunde zum Thema: Eklat in Thüringen – Keine Chance für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein“

Fraktionsvorsitzender Christopher Vogt

In seiner Rede zu TOP 1 (Aktuelle Stunde zum Thema „Eklat in Thüringen – Keine Chance für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein“) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:

„Ich bin dankbar dafür, dass wir diese Aktuelle Stunde gemeinsam beantragt haben. Das ist in diesen aufgeheizten Zeiten, wo so manches aus den Fugen zu geraten scheint, ein wichtiges Signal. Es macht deutlich, dass wir in diesem Bundesland – bei allen politischen Unterschieden, die wir gern auch noch lebhafter austragen sollten – einen demokratischen Grundkonsens haben. Und der lautet: Nie wieder darf der rechte Rand hier eine Chance haben!

Bei jemandem wie Herrn Höcke gibt es doch keinerlei Zweifel mehr, wo er politisch steht und in welcher widerlichen Tradition. Und ich fürchte, Herr Gauland hatte ausnahmsweise mal Recht, als er ihn als die ‚Mitte der Partei‘ bezeichnet hat. Das macht sehr deutlich, wo die AfD in ihrer Gesamt-partei mittlerweile angekommen ist. Man denke allein in den letzten Tagen an Höckes Auftritt bei PEGIDA in Dresden oder das rassistische Kinder-Malbuch in Nordrhein-Westfalen. Der Mord an Walter Lübcke und rechte Terrorpläne fallen ja auch nicht vom Himmel.

Der Eklat bei der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen war aus Sicht meiner Fraktion und unserer Landespartei ein beschämender Vorgang. Denn: Ein liberaler Regierungschef kann niemals einen Regierungsauftrag aus einer Wahl ableiten, die nur durch die Stimmen von illiberalen Demokratie-Verächtern vom rechten Rand ermöglicht wurde. Unsere Weltoffenheit und Toleranz und unser positives Menschen- und Gesellschaftsbild stehen dem der AfD diametral entgegen. Insofern kann es keinerlei Kooperation geben – auch eine solche nicht!

Thomas Kemmerich hätte die Wahl zum Ministerpräsidenten nicht annehmen dürfen. Man kann auch darüber streiten, ob es angesichts der unklaren Mehrheitsverhältnisse überhaupt eine gute Idee war, im dritten Wahl-kampf gegen die Kandidaten von Linken und AfD anzutreten. Herr Kemmerich wollte der Kandidat der Mitte sein. Durch die Finte der AfD, die ihrem Kandidaten im dritten Wahlgang keine einzige Stimme gegeben hat und dafür Herrn Kemmerich gewählt hat, konnte er aber kein Ministerpräsident der Mitte sein. Bei allem Respekt vor der Kommunalpolitik: Allein die Tatsache, dass die AfD einen parteilosen Bürgermeister eines kleinen Dorfes für dieses hohe Amt vorgeschlagen hat, hätte einen misstrauisch werden lassen müssen.

Ich kenne Thomas Kemmerich persönlich: Er ist erfolgreicher Unternehmer und ein engagierter Demokrat, der sehr offensiv gegen die AfD Wahlkampf geführt hat. Dass er aber die Wahl angenommen und einen ganzen Tag gebraucht hat, um seinen Fehler einzuräumen, hat die FDP bei vielen Menschen in den Verdacht gebracht, dass wir insgeheim mit Demokratieverächtern gemeinsame Sache machen würden, wenn sich dies für uns lohnt. Sie glauben gar nicht, wie sehr uns dies schmerzt. Der Einsatz gegen Rechtsextremismus ist bis heute eines meiner Hauptmotive, politisch tätig zu sein. Wenn ich an Demonstrationen teilnehme, dann immer gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Dafür darf es in unserer Gesellschaft keinen Platz geben.

Viele Menschen haben aber auch nicht verstanden, warum wir als Parteifreunde noch am selben Tag Herrn Kemmerich zum Rücktritt aufgefordert haben und sagen uns, er hätte sich trotz der Umstände doch erstmal im Amt beweisen können. Dies war aber nie realistisch, weil er eine Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt hat und mit der CDU zusammen nur rund ein Viertel der Stimmen hinter sich hatte. Es war ja sowieso schon skurril genug, dass man mit fünf Prozent und fünf Mandaten überhaupt Regierungschef werden konnte. Wir hatten uns die erste Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten seit 1953 offen gestanden völlig anders vorgestellt. Ich war natürlich immer davon ausgegangen, dass ich mich darüber total freuen würde. Das war in Thüringen nicht der Fall.

Die Reaktion meiner Partei war zunächst zu zögerlich. Auch wir in Schleswig-Holstein wurden von der Entwicklung in Thüringen leider kalt erwischt. Wir waren zunächst ziemlich sprachlos, haben uns dann aber sehr schnell maximal distanziert. Wir hätten uns als gesamte Partei viel früher und viel intensiver mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass dort Linke und AfD erstmals eine rechnerische Mehrheit im Parlament haben, und dass wir dort keine Zuschauer sind und Verantwortung haben. Das Wahlergebnis in Thüringen hätte insgesamt zu deutlich mehr kritischen Diskussionen führen müssen.

Der Eklat von Erfurt hat meine Partei in eine Krise gestürzt. Christian Lindner hat sich im Deutschen Bundestag im Namen der Freien Demokraten entschuldigt. Er hat zuvor im Bundesvorstand die Vertrauensfrage gestellt. Dass einige meiner Parteifreunde sich zunächst darüber gefreut haben, dass einer von uns Ministerpräsident geworden ist und kein Linker bzw. keiner von der AfD, ist zutreffend. Für uns stand aber dennoch immer außer Frage, dass wir jegliche Kooperation mit der AfD ausschließen und dazu gehört natürlich auch dieser Vorgang.

Und es gibt kein ‚bürgerliches Lager‘ mit dieser AfD. Dieses Wording wurde ja auch von Journalisten im Osten übernommen. Es ist aber lediglich der Versuch der AfD, sich reinzuwaschen. Wer wirklich Bürgersinn hat, wählt diese Partei nicht und gehört ihr schon gar nicht an.

Uns wurde auch vorgeworfen, dass wir Herrn Ramelow mit Herrn Höcke bzw. der AfD gleichsetzen würden. Das ist nicht der Fall. Wir arbeiten im Bundestag z.B. bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oder bei der Reform des Wahlrechts mit den Linken zusammen. Auch in Thüringen gab es Gespräche mit Herrn Ramelow und die Zusage zu einer zumindest partiellen Zusammenarbeit. Das würden wir mit der AfD nie machen.

Das heißt aber auch nicht, dass die Linke für uns eine normale Partei ist. Das hat mit der Vergangenheit dieser Partei zu tun, mit der unzureichenden Distanzierung und schlichtweg mit der Programmatik und bestimmten Mit-gliedern, die in dieser Partei immer noch in Führungspositionen gewählt werden. Deshalb kann es zwischen uns keine Koalition geben. Jüngste Personalentscheidungen in der Bundestagsfraktion bestätigen uns in unserer Haltung. Wie andere Parteien dies halten, ist deren Sache, aber auch da gibt es ja durchaus Kontroversen dazu. Unsere Kritik an der Linken bedeutet aber keinesfalls Gleichsetzung mit der in weiten Teilen mittlerweile rechtsextremen AfD.

Was mich am meisten an dem Eklat in Thüringen ärgert, ist die Tatsache, dass wir dazu beigetragen haben, dass es Björn Höcke und seinen Leuten gelingen konnte, nicht nur das Bundesland Thüringen, sondern teilweise auch die Bundespolitik ins politische Chaos zu stürzen. Und dies mit einem eigentlich ziemlich billigen Trick, mit dem man hätte rechnen können. Meines Wissens war es zwar das erste Mal in unserer Parlamentsgeschichte, dass eine Partei in einem Wahlgang für den Regierungschef einen Kandidaten vorschlägt und ihm dann keine einzige Stimme gibt. Die AfD ist aber derart verschlagen, dass ihr jedes Mittel Recht ist, um den Parlamentarismus vorzuführen und damit am Ende zu delegitimieren. Das ist deren Ziel und das einzig Gute an Thüringen ist, dass dies nun deutlich geworden ist.

Über der FDP ist am 5. Februar 2020 eine Art politischer Sturm losgebrochen, der es wirklich in sich hatte, und der für uns auch neu war. Kritik und Unmut waren absolut berechtigt, aber es ging zum Teil leider weit darüber hinaus. In Schleswig-Holstein war das zum Glück vergleichsweise über-schaubar, aber auch vor unserer Geschäftsstelle tauchte plötzlich die Polizei auf. Anderswo in Deutschland wurden Parteimitglieder, Mitarbeiter und Kandidaten massiv beleidigt und teilweise auch angegangen. Wenn sogar jüdische Mitglieder oder Parteifreunde mit Migrationshintergrund als Nazis beschimpft werden, fragt man sich wirklich, wie schlimm es um unsere demokratische Kultur steht. Insofern danken wir all denjenigen politischen Mitbewerbern, die sich solidarisch gezeigt haben und die zur Mäßigung aufgerufen haben. Wer dagegen nun meint, es sei angezeigt, uns mit der AfD gleichzusetzen, schadet damit nicht der AfD, sondern unserer Demokratie und hilft der AfD bei ihrem perfiden Spiel.

Und um es hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wir haben einen schweren Fehler gemacht, wir lassen uns aber nicht von Leuten verein-nahmen, mit denen wir nichts zu tun haben. Wir lassen uns aber auch nicht diskreditieren von denjenigen, die uns schon immer verachtet haben, und die unseren Fehler jetzt entsprechend nutzen wollen, um uns mundtot zu machen.

Der Aufstieg des Populismus und insbesondere des Rechtspopulismus ist kein rein deutsches Phänomen, aber wir reagieren darauf zu Recht sehr sensibel. Auch die westliche Welt ist im Wandel begriffen. Die erfolgreichen Demokratien haben Krisen hinter sich oder haben damit noch zu kämpfen. Die Globalisierung, die durch die Digitalisierung noch einmal beschleunigt wird, produziert – gerade in Deutschland – viele Gewinner, aber eben auch Verlierer, die Unterstützung brauchen. Die Mittelschichten sind verunsichert und haben Abstiegsängste. Das spielt diesen Leuten natürlich in die Hände.

Wir müssen aber auch feststellen, dass wir uns als staatstragende Parteien auf diese zerstörerischen Methoden erst noch richtig einstellen müssen, um ihnen wirksamer zu begegnen. In Schleswig-Holstein spielt die AfD bisher zum Glück kaum eine Rolle. Das mag mit Blick auf unsere Geschichte viel-leicht überraschen, hat aber mittlerweile meines Erachtens auch kulturelle Gründe. Die Norddeutschen sind einfach weltoffen und tolerant.

Wir haben aber auch einen demokratischen Konsens entwickelt, durch den wir nicht über jedes Stöckchen springen, das man uns hinhält. Wir lassen die AfD vor allem mit ihren zahlreichen Skandalen stattfinden. Die AfD in Schleswig-Holstein mag auf den ersten Blick vielleicht etwas harmloser wirken als in anderen Bundesländern. Die erneute Wahl von Frau von Sayn-Wittgenstein, mehrere Plenardebatten (z.B. zu Chemnitz) und vor allem die Propaganda-Veranstaltungen in diesem Haus haben aber gezeigt, dass sie nicht weit von der Höcke-AfD in Thüringen entfernt ist.

Ich bin davon überzeugt, dass wir eines der ersten Bundesländer sein können, in dem die AfD wieder aus dem Parlament fliegt. Das wird uns nicht mit irgendwelchen Appellen gelingen oder indem wir ihre Sprache adaptieren, sondern mit einer klaren demokratischen Kultur: Harte Auseinander-setzungen in der Sache unter Demokraten. Wir müssen mehr Meinungsviel-falt und Diskurs wagen, aber klare Kante gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus und gegen Hass und Gewalt zeigen. Wir dürfen uns nicht vorführen lassen und den Opfermythos der AfD entlarven. Dafür bedarf es mehr Bürgernähe und Austausch. Und wir müssen Probleme klar benennen und Lösungen dafür anbieten. Und vor allem: Handlungsfähigkeit zeigen! Nur damit wird es gelingen, zumindest die Protestwähler, die der AfD ihre Stimme geliehen haben, dauerhaft zurück zu gewinnen. Und das muss unser Auftrag sein. Auf einen fairen Wettbewerb!“