Christopher Vogt zu TOP 1 „Regierungserklärung zur Corona-Krise“

Fraktionsvorsitzender der FDP, Christopher Vogt im Landtag Schleswig-Holstein

In seiner Rede zu TOP 1 (Regierungserklärung zur Corona-Krise) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:

„Ich bin sehr froh, dass wir heute diese Parlamentssitzung machen und öffentlich darüber debattieren, wie es die nächsten Wochen und Monate im Land weitergehen kann. Unsere liberale Demokratie ist auch in einer solchen Jahrhundertkrise keine Schwäche unserer Gesellschaft, sondern ein großes Glück.

Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine Regierungserklärung! Diese Landesregierung macht in dieser tiefgreifenden Krise einen wirklich guten Job! Respekt und Anerkennung dafür, lieber Daniel Günther! Seit Wochen müssen sehr viele weitreichende Entscheidungen in kürzester Zeit getroffen und kommuniziert werden. Das ist nun wahrlich kein Spaziergang und deshalb gilt mein Dank insbesondere dem Gesundheitsministerium, lieber Heiner Garg, aber auch allen anderen Ministerien und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern!

Die bisherigen Maßnahmen in Schleswig-Holstein waren drastisch, aber sie waren auch erfolgreich. Katastrophale Zustände, wie sie zum Teil in anderen Regionen Europas oder auch USA entstanden sind, konnten hier bisher zum Glück vermieden werden. Das war vor einigen Wochen alles andere als selbstverständlich. Das liegt an dem entschlossenen Krisenmanagement, aber vor allem an der großen Disziplin der Bürgerinnen und Bürger, die die kurzfristig beschlossenen Maßnahmen nachvollziehen konnten und akzeptiert haben. Wir lernen beim Umgang mit diesem tückischen Virus jeden Tag dazu, aber es gibt noch immer zu viele Ungewissheiten, die das Management erheblich erschweren. Wir wissen nicht, wann es einen Impfstoff geben wird. Bis dahin werden wir den Umgang mit diesem Virus managen müssen. Wir werden unsere Lebensweise nicht nur für einige Wochen stark verändern müssen, sondern mindestens über Monate. Ich halte aber wenig bis gar nichts davon, von einer ‚neuen Normalität‘ zu sprechen, denn dies ist nichts, woran wir uns gewöhnen wollen.

Man muss sich nichts vormachen: Die Wiederöffnung des öffentlichen Lebens wird schwieriger werden als der Lockdown. Die Akzeptanz des weiteren Krisenmanagements wird mit Sicherheit in erster Linie davon abhängen, ob die Menschen die einzelnen Maßnahmen nachvollziehen können. Dafür braucht es klare Kriterien und entsprechende Perspektiven für die Menschen. Die Weiterentwicklung der Maßnahmenpakete muss jeweils verantwortbar, verhältnismäßig und logisch sein und klar kommuniziert werden. Allein die Kommunikation wird eine große Herausforderung werden, wie wir ja auch heute wieder sehen. Und da haben meines Erachtens auch die Medien eine Verantwortung, zum Beispiel bei der Gestaltung von Überschriften.

Meines Erachtens muss vor allem die Reduzierung von Kontakten im Fokus bleiben und nicht die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Menschen. Abstand halten und auf Hygiene achten sind extrem wichtig. Wir brauchen noch mehr Tests, mehr Kapazitäten in Gesundheitsämtern und Krankenhäusern und vor allem ausreichend Schutzbekleidung für das Personal in Medizin und Pflege. Die Sinnhaftigkeit des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit wird ja offenbar auch unter Experten unterschiedlich gesehen. Wenn es das Gegenüber auch nur ein bisschen schützt und Material vorhanden ist, sollte man es tun und damit entsprechend Rücksicht nehmen.

In unserem Staat bedarf stets die Aufrechterhaltung von Grundrechtseingriffen der Rechtfertigung und nicht deren Aufhebung. Wir können es uns mit Blick auf die verfügbaren medizinischen Kapazitäten und die Entwicklung der Reproduktionszahl – also der Ansteckungsrate – auf aktuell 0,7 zum Glück erlauben, das öffentliche Leben in Deutschland behutsam Schritt für Schritt wieder zu öffnen. Es kann dabei natürlich Rückschritte geben. Deshalb ist auch die zunehmende öffentliche Diskussion über das Pro und Contra von Maßnahmen richtig und auch notwendig. Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger steht im Vordergrund. Wir müssen Zustände wie in der Lombardei oder wie in New York auf jeden Fall verhindern. Da sind wir auf einem guten Weg, aber noch lange nicht über den Berg. Wir müssen vor allem ältere und vorerkrankte Menschen schützen. Wir müssen aber auch die wirtschaftliche Existenz der Menschen schützen. Gesundheit und Wirtschaft sind ja keine kompletten Gegensätze, sondern bedingen sich auch einander. Wir wollen auch unbedingt, dass Demokratie, Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft keinen nachhaltigen Schaden nehmen. Und wir müssen die soziale Spaltung der Gesellschaft verhindern. Schon jetzt ist klar, dass die Krise die Menschen sehr unterschiedlich trifft. Und wir müssen uns darum kümmern, dass Europa wieder enger zusammenrückt und nicht auseinanderfällt. Die Bundesgrenze zu Dänemark sollte deshalb nicht länger Beschränkungen unterliegen als dringend erforderlich. Und solange wir medizinische Kapazitäten frei haben, sollten wir damit unseren europäischen Mitbürgern helfen. Das tun wir bereits in Kiel und Lübeck und das sollten wir auch unbedingt weiterhin tun.

Die Öffnung des Einzelhandels ist für die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen von elementarer Bedeutung. Bestimmte Auflagen sind natürlich notwendig. Das ist aber auch kein Problem. Die Menschen haben sich bereits darauf eingestellt. Die Begrenzung auf 800 Quadratmeter leuchtet mir allerdings nicht ein. Man will damit ja Menschenaufläufe verhindern. Ich befürchte, dass sich dies eher kontraproduktiv auswirken wird. Ich lasse mich da aber gerne eines Besseren belehren. Wir tragen dies als politischen Kompromiss in diesem ersten Schritt mit. Ich bin aber sehr froh und dankbar, dass wir auch die Läden in Shoppingcentern mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern öffnen werden, und dass größere Läden auf dieser Fläche ebenfalls wieder öffnen dürfen. Ich bin auch dafür, vorübergehende Sonntagsöffnungen zu ermöglichen, um auch damit für Entzerrung zu sorgen.

Den Tourismus, von dem bei uns sehr viele Menschen leben, werden wir ebenfalls schrittweise wieder zulassen. Der Beginn muss bei der Nutzung von Zweitwohnungen gemacht werden, dann folgen Ferienwohnungen und Hotels. Und wir brauchen eine Perspektive für die Gastronomie. Viele Betriebe können ihre Kosten durch Außer-Haus-Verkauf einigermaßen decken, aber das ist nur ein kleiner Trost. Hier muss weiter über sinnvolle Auflagen gesprochen werden, um dies in einem der nächsten Schritte ermöglichen zu können, wenn es die Virus-Ausbreitung denn erlaubt.

Sehr wichtig sind uns auch klare Signale, um unsere Metropolregion wieder mit Leben zu füllen. Unser touristisches Betretungsverbot dient ja dazu, vorübergehend Menschenansammlungen an den touristischen Hotspots zu vermeiden. Der ‚kleine Grenzverkehr‘ in der Metropolregion muss möglich sein und Jogger und Spaziergänger an der Landesgrenze sind keine Touristen – zumindest keine, die ein Problem sind. Die Zweitwohnungsnutzung auf dem Festland ist aber ein kommunales Thema. Ich sehe für ein Verbot spätestens jetzt keine Notwendigkeit mehr und deshalb muss dies auch ein Ende haben. Dies betrifft ja übrigens nicht die Kreise im Hamburger Umland und auch nicht nur Menschen aus anderen Bundesländern, sondern auch Schleswig-Holsteiner. Ich bin guter Hoffnung, dass wir mit den Hamburgern schon sehr bald wieder gemeinsam nach vorne schauen können. Die Zusammenarbeit mit Hamburg funktioniert übrigens in vielen Bereichen trotz dieser leidigen Diskussion hervorragend – zum Beispiel im besonders wichtigen Gesundheitsbereich.

Die Zweitwohnungen auf den Inseln und Halligen, deren Nutzung das Land untersagt hat, müssen noch einmal anders betrachtet werden. Wenn die Sylter nun die Öffnung der Insel fordern, werden auch wir zeitnah darüber sprechen müssen.

Ab Anfang Mai werden wir voraussichtlich wieder den kontaktarmen Sportarten im Außenbereich nachgehen können. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Immunsystems. Wir müssen auch besonders an die Familien mit Kindern denken. Bestimmte Kultur- und Freizeitangebote werden wieder öffnen, aber das Wichtigste ist die Ausweitung der Notbetreuung in den Kitas. Das ist eine große Erleichterung für viele Familien und natürlich auch Unternehmen, die ihre Mitarbeiter brauchen.

Bei den Schulen steht jetzt zu Recht im Vordergrund, dass die Prüfungen unter fairen Bedingungen stattfinden können. Das hatte ja zunächst zu großer Verunsicherung vieler Familien geführt. Die schrittweise Öffnung der Schulen wird jetzt durch die Kultusminister weiter vorbereitet werden. Wichtig ist uns dabei auch die flächendeckende Ausweitung der digitalen Lernangebote. Da brauchen wir Chancengleichheit, nicht nur bei der Ausstattung mit Geräten, sondern auch bei der Fortbildung der Lehrkräfte. Die Gewährleistung des Lehrbetriebes an den Hochschulen wird mit Sicherheit etwas einfacher zu organisieren sein als an den Schulen, aber auch hier brauchen wir viel Flexibilität und eine Stärkung der Digitalisierung. Das gilt natürlich auch für die öffentliche Verwaltung. Wir brauchen insgesamt deutlich mehr Investitionen in die Digitalisierung. Die Breitband-Anschlussquote ist in Schleswig-Holstein ja bekanntermaßen deutlich besser als anderswo. Das hilft jetzt vielen Menschen dabei, ihr Leben besser zu organisieren.

Wir als Land tun alles dafür, um die Auswirkungen der Krise soweit wie möglich zu begrenzen. Wir haben in einem ersten Schritt 500 Millionen Euro für Soforthilfen in den Haushalt eingestellt und werden diese Summe in einem zweiten Schritt auf eine Milliarde Euro verdoppeln. Wir geizen nicht in der Krise, aber wir behalten immer im Auge, dass wir weiter handlungsfähig bleiben. Die Finanzhilfen für die Wirtschaft sind absolut notwendig und wichtig, damit wir unseren Unternehmen über diese schwierige Zeit hinweghelfen. Genauso wichtig ist aber auch, dass wir diejenigen entlasten, deren Einkommen in der Krise geringer werden: das betrifft viele Eltern. Das Land übernimmt deshalb die Kita-Gebühren für zwei Monate. Gleichzeitig verschieben wir Teile der Kita-Reform auf Januar 2021, um die Kommunen zu entlasten. Wichtig war uns aber, dass beispielsweise die Deckelung der Kita-Beiträge wie geplant zum 1. August 2020 in Kraft treten, damit die Eltern nicht an dieser Stelle zur Kasse gebeten werden.

Für die weiteren Schritte der Maßnahmen ist eine bundesweite Abstimmung wichtig. Dabei stellt aus meiner Sicht der Föderalismus kein Problem dar, er hat im Gegenteil viele Vorteile. Es muss jetzt darum gehen, dass die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gewahrt bleibt. Der Erfolg der weiteren Maßnahmen wird wesentlich davon abhängen, dass die Bürgerinnen und Bürger weiterhin mitziehen. Die Solidarität in der Bevölkerung sollte beibehalten werden. Wir müssen jetzt Nerven bewahren. Die norddeutsche Gelassenheit ist wichtiger denn je. Auch der politische Wettbewerb bleibt bedeutend. Aber wir alle müssen auch Verantwortungsbewusstsein zeigen – das sollte über die parteipolitischen Grenzen hinweg Konsens sein. Bleiben Sie gesund.“