In seiner Rede zu TOP 1+37+44 (Regierungserklärung zum Thema “In der Krise zusammenhalten – Corona-Pandemie erfolgreich bewältigen“ und Anträge zur Corona-Pandemie) erklärt der Vorsitzende der FDP Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Die zweite Welle der Corona-Pandemie fordert weite Teile Europas und zunehmend auch Deutschland heraus. In Schleswig-Holstein stehen wir dank des entschlossenen Handelns immer noch deutlich besser da als die allermeisten anderen Regionen, aber auch bei uns gibt es nun dringenden Handlungsbedarf. Es war ja allen Realisten immer klar, dass die Infektionszahlen im Herbst wieder ansteigen würden. Die Zahlen steigen aber leider viel zu schnell an und sind zu früh zu hoch. Es geht mittlerweile ganz einfach wieder darum, ob die Krankenhauskapazitäten und vor allem die Intensivbetten auch noch in einigen Wochen ausreichen werden und ob wir dort katastrophale Zustände verhindern können. Niemand möchte dort Zustände haben, wie wir sie teilweise in anderen Ländern sehen mussten. Das sollte man auch sehr offen und deutlich kommunizieren, dass dies das Problem ist. Wir merken es seit Tagen auch in Schleswig-Holstein: Die Infiziertenzahlen steigen erheblich an und die Einschläge kommen spürbar näher. Und der Altersdurchschnitt der Infizierten steigt, was besonders problematisch ist. Der großen Dynamik beim Infektionsgeschehen müssen wir wirksam begegnen. Wir müssen jetzt dringend auf die Bremse treten.
Entscheidend für das Brechen der Welle ist, dass wir alle die nicht wirklich notwendigen sozialen Kontakte wieder für eine gewisse Zeit deutlich zurückfahren. Und das ist natürlich immer schmerzhaft. Wir plädieren seit Monaten für Maßnahmen, die möglichst zielgenau, verhältnismäßig, logisch und rechtssicher sind. Das ist keine einfache Übung, aber das muss die Richtschnur sein. Ich kann und will es nicht verhehlen: Einen erneuten Lockdown wollten wir unbedingt verhindern. Und ich habe es am Dienstag sehr deutlich gesagt: Einen Lockdown verhindert man nicht, indem man diesen verhängt. Wir hatten Anfang der Woche bereits Maßnahmen für SchleswigHolstein beschlossen, die als hart wahrgenommen wurden. Nun hat man sich auf Bundesebene auf einen teilweisen Lockdown verständigt. Eine bundesweite Abstimmung halten wir für erforderlich, aber es hätte unseres Erachtens auch durchaus andere Möglichkeiten zur klaren bundesweiten Reaktion gegeben, z.B. mit einem erneuten Stufenmodell, das regionale Unterschiede beim Infektionsgeschehen angemessen berücksichtigt und zum Beispiel Hotels und Gaststätten zumindest im Norden aktuell verschont hätte.
Alle Experten sagen uns, dass die Pandemiebekämpfung trotz der Lichtblicke bei der Entwicklung von Impfstoffen ein Marathonlauf bleiben wird. Deshalb ist ein zweiter Lockdown wirklich hart. Viele Menschen – darunter auch ich – hatten gehofft, dass dies nicht notwendig sein würde. Und in der dunklen Jahreszeit ist dies natürlich auch noch einmal etwas anderes als im Frühling. Besonders wichtig ist uns, dass Schulen und Kitas dieses Mal geöffnet bleiben sollen. Das ist von elementarer Bedeutung für die Kinder und Jugendlichen und auch ihre Eltern. Auch der Einzelhandel soll geöffnet bleiben. Und man sollte auch verschiedene Fehler aus dem Frühjahr vermeiden, z.B. was Beerdigungen, Geburten oder einsame Menschen in Heimen angeht.
Was mich wirklich verärgert, ist die Tatsache, dass diese sehr harte bundesweite Reaktion letztlich die Folge vieler Versäumnisse ist. Viele Bundesländer haben die letzten Monate und teilweise bis zuletzt Veranstaltungen und Feiern zugelassen, die ganz klar als Infektionstreiber identifiziert sind. Die Infektionszahlen in den verschiedenen Regionen sind also kein Zufall, auch wenn manch einer versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Wenn ich sehe, dass in Berlin Mitte Partys mit mehreren Hundert Menschen stattfinden, die auch noch genehmigt wurden oder in Sachsen ein Jazzfestival, ebenfalls von den Behörden genehmigt, dann habe ich dafür wirklich kein Verständnis!
Wir haben gestern in der FDP-Fraktion sehr intensiv beraten, wie wir mit dem bundesweiten Paket umgehen. Wir haben da teils erhebliche inhaltliche und rechtliche Bedenken und sind damit ja auch offenkundig nicht alleine, wenn man auch heute wieder namhafte Virologen dazu hört. Wir haben uns letztlich dazu entschieden, dass wir das bundesweite Vorgehen aus Verantwortung für unser Land mittragen werden. Ich sage aber auch ganz deutlich: Das fällt uns an dieser Stelle alles andere als leicht. Die Vorbereitung der Ministerpräsidentenkonferenz durch die Bundesregierung war kein Ruhmesblatt, um es freundlich auszudrücken. Ich hoffe sehr, dass man die Rechtssicherheit des bundesweiten touristischen Beherbergungsverbots, das ja nun tatsächlich eines ist, genau geprüft hat. Und gestern Mittag war auch noch nicht klar, welche Ausgleichszahlungen es für die Betroffenen geben soll. Die Bundesregierung ist jetzt in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die versprochenen Hilfen für Unternehmen, Selbständige, Vereine und Einrichtungen schnell und unbürokratisch fließen. Es darf da jetzt nicht zu unnötigen Liquiditätsproblemen kommen. Die Abwicklung muss schnell geklärt werden. Und bis zu 75 Prozent des Vorjahresumsatzes sind für viele Betriebe natürlich eine gute Lösung, für viele Unternehmen – z.B. für die ausgebuchten Hotels in Schleswig-Holstein – aber eben auch nicht. Es muss klargestellt werden, dass die genannten zehn Milliarden Euro keine Obergrenze sind, denn nicht nur ich wage zu bezweifeln, dass diese Summe ausreichend sein wird. Schleswig-Holstein hatte in diesem schwierigen Jahr bisher noch die geringsten wirtschaftlichen Einbußen zu verzeichnen, was ganz wesentlich auch am Tourismus lag. Das wird sich in den nächsten Wochen nun mit Sicherheit ändern und das ist bitter.
Wir müssen nun mehr denn je hart daran arbeiten, dass unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet. Ein Auseinanderfallen in den Teil, der sein Geld jeden Monat automatisch überwiesen bekommt und in diejenigen, die auf Umsatz angewiesen sind, darf nicht passieren. Wir können uns glücklich schätzen, dass unser Land noch solche großen wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, um Umsätze zu erstatten. Es muss aber auch allen klar sein, dass unsere Möglichkeiten endlich sind und dass viele Selbständige und Unternehmer keine Rücklagen mehr haben. Und es geht jetzt um unseren gesellschaftlichen Wohlstand insgesamt. Es wird am Ende kaum jemanden geben, den die Verluste nicht irgendwie betreffen werden.
Es muss jetzt also mehr denn je um Akzeptanz geworben werden. Ohne breite Akzeptanz der Maßnahmen und ein gewisses Maß an Eigenverantwortung geht es einfach nicht. Deshalb appelliere ich auch an alle: Reduzieren Sie Ihre Kontakte so gut es geht. Wer es kann, sollte zumindest für einige Wochen wieder ins Homeoffice wechseln, denn viele Ansteckungen entstehen natürlich auch am Arbeitsplatz. Die Wirksamkeit des Abstandhaltens und Maskentragens ist mittlerweile zum Glück nahezu unumstritten. Achten wir jetzt alle noch mehr als sonst schon darauf.
Wo genau ein Großteil der Ansteckungen entsteht, weiß man trotz der großen Anstrengungen der Gesundheitsämter leider nicht genau. Klar ist: Es kann trotz aller Vorsicht jede und jeden treffen. Man sieht seinem Gegenüber ja schließlich nicht an, ob es infiziert ist. Wir dürfen jetzt aber nicht nur mit Verboten arbeiten, sondern müssen auch weitere Maßnahmen ergreifen. Die Gesundheitsämter müssen trotz allem weiter gestärkt werden – mit Personal, aber auch mit moderner Technik. Ich kenne Faxgeräte eigentlich nur noch als Erinnerung aus meiner Kindheit. Was man da teilweise aus den Behörden hört, geht einfach nicht mehr. Die Corona-App muss dringend verbessert werden. Da gab es zuletzt offenbar immerhin Fortschritte. Es muss weiterhin überall genug Schutzausrüstung geben und wir müssen uns auf das Impfen vor allem der besonders gefährdeten Gruppen vorbereiten. Wir brauchen auch noch bessere Strategien vor allem für ältere Menschen. Schnelltests können da jetzt eine große Hilfe sein. Viele Konzepte funktionieren – auch in den Schulen, aber auch dort müssen wir mehr tun: Wir müssen Lüftungsanlagen für Räume besorgen. Außerdem sollten bestimmte Schulbuslinien entlastet werden. Wir haben viele Reisebusunternehmen, deren Busse derzeit in den Garagen stehen. Hier könnte man ein gemeinsames Konzept erstellen. Und wir brauchen eine deutliche schnellere Umsetzung des Digitalpakts, damit v.a. ältere Schüler besser zu Hause lernen können.
Alle politisch Verantwortlichen sollten meines Erachtens bei der Kommunikation jetzt besonders aufpassen. Ich ärgere mich massiv darüber, wenn davon gesprochen wird, dass ‚die Zügel‘ oder ‚die Daumenschrauben‘ jetzt angezogen werden müssen. In unserer Demokratie gibt es keine Untertanen, sondern mündige Bürger und deshalb sind solche Bilder mehr als nur unangemessen. Die allermeisten Menschen handeln nach wie vor sehr diszipliniert. Wo die Regeln missachtet werden, müssen sie natürlich durchgesetzt werden. Was wir alle aber nicht befördern sollten, ist das Denunziantentum. Auch im privaten Raum werden wir die Treffen auf zehn Personen begrenzen, aber nicht auf zwei Hausstände, weil das dort auch niemand kontrollieren kann oder will. Es wird da bei uns keine anlasslosen Kontrollen geben. Die private Wohnung ist in unserem Staat aus guten Gründen besonders geschützt. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt und das muss auch in der Pandemie so bleiben. Es ist aber nicht die Zeit für Partys, auch wenn ich da gerade für die Bedürfnisse der jungen Menschen großes Verständnis habe. Die Bewegungsfreiheit wird im Inland nicht grundsätzlich eingeschränkt, das hat sich auch in den vergangenen Monaten nicht bewährt. Wir sollten meines Erachtens aber auch die Quarantäne-Regelungen innerhalb Europas ständig überprüfen und vor allem die Grenzen nicht wieder schließen. Dass die Schleierfahndung im MPK-Papier auftaucht, finde ich befremdlich. Natürlich kann man sagen, wir haben Dänemark als Nachbarn mit eher geringen Zahlen im Vergleich zu fast allen anderen Bundesländern, die an der Bundesgrenze liegen. Aber ich finde, wir sollten dem Bund sehr deutlich machen, dass das zumindest bei uns nicht notwendig ist und entsprechend auch nicht von der Bundespolizei umgesetzt werden sollte. Es bleibt für uns dabei: Demokratie, Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft dürfen auch in der Pandemie keine nachhaltigen Schäden nehmen. Es gibt zurecht eine Debatte über eine Parlamentsbeteiligung. Ich finde es absolut richtig, dass man darüber debattiert, aber auch dort deckt die Pandemie lediglich strukturelle Schwächen auf. In den letzten Jahrzehnten waren die Parlamente insgesamt viel zu wenig selbstbewusst und unsere Verfassung ordnet den Parlamenten eigentlich eine andere Rolle zu, als es teilweise gelebt wird. Deswegen sage ich, die Hauptaufgabe des Parlaments ist die Kontrolle, das haben wir in Schleswig-Holstein bisher gut gemacht, aber wir brauchen auch Verordnungen, damit man schnell handeln kann.
Wir haben wenig Vorlaufzeit. Es müssen die Abreisen von den Inseln organisiert werden. Wir haben zeitliche Begrenzung der Maßnahmen, eine Evaluation nach zwei Wochen muss sehr ernsthaft betrieben werden. Die Menschen brauchen jetzt Ziele und Perspektiven für die kommenden Monate. Auch andere gesundheitliche Faktoren müssen jetzt Beachtung finden. Wir sollten da auch alle gesundheitlichen Faktoren beachten. Lassen Sie uns alle die Nerven bewahren und alle unseren Beitrag dafür leisten, damit das jetzt ein Erfolg wird. Bleiben Sie gesund!“
Christopher Vogt zu TOP 1 u.a. „Regierungserklärung zum Thema ‚In der Krise zusammenhalten‘“
29.10.2020