In seiner Rede zu TOP 1 (Regierungserklärung zu „Aktuelle Herausforderungen meistern – Perspektiven für den Frühling schaffen" und Antrag Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Effektivität der Pandemie-Maßnahmen sicherstellen) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Nicht einmal zwei Wochen nach unserer letzten Sondersitzung sind wir wieder hier und müssen feststellen, dass es bei der aktuellen Lage Licht und Schatten gibt. Das Infektionsgeschehen ist insgesamt rückläufig, die aktuellen Maßnahmen sind also wirksam und die letzten Verschärfungen von Anfang Januar, die ich schon als recht drastisch bezeichnen möchte, spiegeln sich ja noch gar nicht in den Zahlen wider. Während wir in einigen Kreisen in Schleswig-Holstein unter der viel diskutierten 50er-Inzidenz liegen, geben vor allem der Kreis Pinneberg weiterhin und der Kreis Nordfriesland ganz aktuell Anlass zur Sorge, auch wenn diese beiden Landkreise uns noch einmal vor Augen führen, dass die Inzidenz immer nur einer von mehreren Indikatoren sein kann, um das Infektionsgeschehen richtig einzuordnen.
Ich bin aber bei allen Problemen sehr froh, dass die Lage bei uns in Schleswig-Holstein weiterhin deutlich besser ist als in fast allen anderen Regionen Deutschlands und auch Europas. Das soll auch so bleiben und das haben wir in erster Linie den Menschen in Schleswig-Holstein und ihrer großen Disziplin und ihrer Solidarität zu verdanken. Dennoch haben auch wir hier angespannte Situationen im Gesundheitswesen und deshalb müssen wir daran arbeiten, dass die Zahl der Neuinfektionen jetzt weiter abnimmt. Während wir in Schleswig-Holstein im Sommer und Herbst bei den Einschränkungen eher zurückhaltend waren, sind wir in diesem Winter – wie schon im letzten Frühjahr – eher strenger bzw. konsequenter als andere Bundesländer. Das liegt daran, dass wir nun einmal mitten in der ‚Viren-Zeit‘ sind und ein Lockdown soll ja auch was bringen. Der größte Unsicherheitsfaktor sind derzeit natürlich die Virus-Mutationen, von denen wir wissen, dass sie mittlerweile vereinzelt in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein nachgewiesen wurden. Dass Viren mutieren, wissen die meisten von uns wohl seit der Mittelstufe. Und dass die verschiedenen international bekannt gewordenen Varianten bei uns auftauchen, ist angesichts der Mobilität der Menschen in Europa auch keine Überraschung. Welche konkrete Gefahr von ihnen ausgeht, ist wissenschaftlich leider nicht ganz klar.
Wir sollten jetzt nicht in Panik verfallen, aber weiterhin vorsichtig, besonnen und konsequent auf diese Entwicklung reagieren, um keine massive dritte Welle zu riskieren. Wir müssen das jetzt sehr genau beobachten und entsprechend verdächtige Proben untersuchen lassen. Leider wurde die Genom-Sequenzierung bisher in Deutschland offenkundig vernachlässigt. Es gibt da sehr geringe Laborkapazitäten, was zu langen Wartezeiten führt. Wir müssen auch die Lage in Dänemark und anderswo genau beobachten und uns um das Testen von Reiserückkehrern und auch Grenzpendlern kümmern. Der Virologe Christian Drosten hat heute Morgen erst erklärt, dass die neue Virusvariante nicht so ansteckend ist wie befürchtet worden war, sie aber immer noch ansteckender als die bekannte Variante. Leider gibt es dazu aber noch keine genaueren Zahlen.
Eigentlich haben wir ja seit dem Frühjahr im Umgang mit dem Virus viel dazugelernt. Vor dem Hintergrund der Mutationen müssen wir jetzt aber wieder besonders aufmerksam sein. Dennoch können wir nicht auf Verdacht die Schraube völlig überdrehen. Die alte Handwerker-Weisheit ‚nach fest kommt ab‘ habe ich in meinem Leben noch nie so häufig gehört wie in den letzten Tagen. Alle Maßnahmen müssen weiterhin immer wieder gut begründet und entsprechend verhältnismäßig sein. Man muss die Eingriffe in die Grundrechte begründen und nicht deren Gewährung. Ohne die breite Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern wird es nicht funktionieren. Zunehmend schwierig werden die Diskussionen, wenn wir das Thema Grundrechte für Geimpfte sehen. Wir müssen mit dem Impfen so schnell vorankommen, dass wir die Maßnahmen geordnet und für alle wieder zurücknehmen können, um nicht differenzieren zu müssen.
Und wir merken doch, dass viele Menschen deutlich kritischer geworden sind, was die einzelnen Maßnahmen, aber auch was die grundsätzliche Strategiedebatte angeht. Ich halte es nicht für besonders sinnvoll, über ähnliche Strategien nachzudenken, wie man sie in asiatischen Diktaturen oder in dünn besiedelten Inselstaaten verfolgt, wo vor allem jetzt gerade Sommer ist. Wir müssen weiter an der richtigen Strategie für ein dicht besiedeltes Land im Herzen Europas arbeiten. Und wir hier in diesem Saal müssen dies – vor allem ab Februar –ganz gezielt für Schleswig-Holstein tun. Dabei sind aus meiner Sicht realistische Ziele und auch eine gewisse Verlässlichkeit bei der Verfolgung dieser Ziele notwendig, so schwierig das auch derzeit ist. Völlig unstrittig ist, dass wir weniger Neuinfektionen haben müssen, um die Virusausbreitung besser unter Kontrolle zu bekommen.
In dieser schwierigen Phase ist eine bundesweite Abstimmung – noch besser wäre eigentlich eine europaweite Abstimmung – der Maßnahmen nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Die Ministerpräsidentenkonferenz ist dafür natürlich ein pragmatisches Instrument, aber sie kann keine Parlamentsdebatten und auch keine Entscheidungen der Landesregierungen bzw. Koalitionen komplett ersetzen, die letztlich entscheidend sind. In diesem Zuge erachtet die FDP-Fraktion es als notwendig, die Mitsprache in dieser Sache stärker auch im Landesgesetz zu regeln. Dazu wollen wir mit den anderen Fraktionen in den nächsten Wochen diskutieren. Dass wir hier immer wieder Sondersitzungen machen, ist für uns mittlerweile selbstverständlich. Und alle Beteiligten sind da sehr flexibel. Dass dies beim Bundestag nicht der Fall ist und dort nur Ausschüsse tagen, kann ich nicht nachvollziehen. Da muss sich dann auch niemand darüber beschweren, dass die bundesweite Diskussion vor allem über die BILD-Zeitung läuft. Ich wünsche mir von unserer Bundesregierung eine offenere Kommunikation. Das wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern meines Erachtens für viele Menschen deutlich überzeugender. Anstatt die Ministerpräsidentenkonferenz merkwürdigerweise als ‚Erbstück aus der Bismarck-Zeit‘ zu bezeichnen, das man eben brauche, wenn die Zeiten schwer sind, sollte die Bundesregierung aktuell auch in öffentlichen Sitzungen deutlich machen, was sie auf der Grundlage welcher Erkenntnisse befürchtet. Das würde mit Sicherheit wieder für mehr Akzeptanz sorgen. Die Ansprache an die mündigen Bürgerinnen und Bürger ist an dieser Stelle auch oft ein Problem. Wir haben es schließlich nicht mit Untertanen oder ungehörigen Kindern zu tun. Auch pauschale Ansagen und Verbote bringen uns hier nicht weiter, genauso wenig wie pauschale Schuldzuweisungen.
Ich bin ein sehr großer Freund davon, anerkannte Experten aus der Wissenschaft zu befragen. Gerade in solchen Krisenzeiten, wo man viele Abwägungen vorzunehmen hat und niemand auch nur annährend alles wissen kann. Aber entscheiden müssen am Ende gewählte Politiker. ‚Die Wissenschaft‘ gibt es wohl genauso wenig wie ‚die Politik‘ und wir erleben ja, dass viele Dinge – wie jetzt bei den Mutationen – schlichtweg nicht ganz klar sind. Die Experten von Bund und Land sind da derzeit überhaupt nicht einer Meinung. Es könnte daran liegen, dass die Zusammensetzung im Land etwas differenzierter ist. Sowohl was die Profession der Experten als auch die Einstellung anbelangt. Warum man Herrn Stöhr in Berlin nicht einladen wollte, verstehe ich nicht. Zur Wissenschaft gehört doch auch der Diskurs! Und es hat doch auch seinen guten Grund, warum parlamentarische Anhörungen genauso öffentlich sind wie die Parlamentssitzungen: nämlich die notwendige Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger herzustellen. Und davon brauchen wir in diesen unsicheren und schwierigen Zeiten endlich mehr und nicht weniger.
Im Herzogtum Lauenburg habe ich ein Impfzentrum besuchen dürfen, welches dort innerhalb kürzester Zeit aufgebaut worden war. Dafür einen Dank an alle Beteiligten, dass dies so reibungslos funktioniert hat. In SchleswigHolstein haben wir eine vergleichsweise hohe Impfquote. Wir haben den vorhandenen Impfstoff erfolgreich verimpft, wir verfolgen also die richtige Strategie! Auch die viel diskutierte Terminvergabe ist weiter optimiert worden. Die Impfstofflieferungen sorgen dagegen leider für großen Frust. Dass durch verzögerte Bestellungen oder verringerte Lieferungen die Not noch größer wird, halte ich für verantwortungslos. Hier sind die EU und der Bund in der Verantwortung!
Die Menschen brauchen Perspektiven, Licht am Ende des Tunnels. Dazu sind Stufenpläne nötig, die im Idealfall bundesweit abgestimmt sind. Für alle wichtigen Lebensbereiche müssen Perspektiven her, für die Gastronomie, den Tourismus und auch dem Sport. Hier müssen wir zuerst an die Kinder und Jugendlichen denken. Die Kulturszene wartet händeringend auf eine Perspektive, auch für die Veranstaltungen. Hier können Stufenpläne ebenfalls eine sinnvolle Sache sein. Der Profisport immer wieder heftig diskutiert. Das ist auch eine Frage der Berufsfreiheit und hier wird viel getestet. Aber Profis sollten auch Vorbild sein und sich vielleicht nicht ständig in den Armen liegen. Das gehört zu den Widersprüchen, die die Menschen verärgern. Genauso wie überfüllte Busse, Bahnen oder Flughafenterminals in Berlin.
Die Zusammenarbeit in der Landesregierung bzw. Koalition und auch der Opposition war sehr gut – gerade in den letzten Tagen wieder! Besonders die schwierige Situation für junge Familien wurde viel diskutiert. Die Kontaktregeln und die Kinderbetreuung haben Familien im Frühjahr bereits viel abverlangt. Deswegen bin ich froh, dass wir eine Regelung für Kleinstkinder gefunden haben. Der Entwicklung der Kinder muss in den nächsten Wochen und Monaten unsere Aufmerksamkeit gelten. Besonders schmerzhaft ist daher auch die Schließung der Schulen, denn hier geht es um die Grundsatzfrage der Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft! Der Distanzunterricht ist kein Vergleich zum Präsenzunterricht und die Lerndefizite sind erheblich. Bei der Digitalisierung der Schulen hinken wir seit Jahren hinterher. Deutschland ist EU-weit auf dem letzten Platz. Es wurde zwar viel aufgeholt, aber wir müssen noch viel schneller werden. Das vorhandene Geld des Digitalpaktes muss jetzt abgerufen werden. Für die Schulen brauchen wir eine klare Kommunikation, die Abschlüsse müssen dort ebenso ermöglicht werden wie die Prüfungen an den Hochschulen. Für die Kitas brauchen wir wieder einen sinnvollen Stufenplan wie im Frühjahr. Gut ist, dass wir die Beiträge erstatten für eine Leistung, die der Staat momentan nicht erbringen kann.
Bei den Hotspots sind wir in Schleswig-Holstein mit unseren Maßnahmen bisher sehr erfolgreich. Ausgangssperren können in einem freiheitlichen Staat immer nur die Ultima Ratio sein, weshalb das mit uns nicht zu machen war. Wichtig ist, dass wir bei der Diskussion um Quarantänebrecher keinen Schnellschuss machen, sondern differenziert diskutieren. Die Gesundheitsämter leisten weiterhin Großartiges. Ich habe festgestellt, dass die Digitalisierung intern oftmals besser klappt als unter den Ämtern. Die neue Software ist eine gute Nachricht, aber wir müssen aufpassen, dass wir die Ämter nicht lahmlegen.
Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch auf die Gottesdienste, die Integration und die Sprachbarrieren lenken. Auch den Schutz der Älteren dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, denn da haben wir die schweren Verläufe und die Todesfälle. Und auch die Vereinsamung ist da ein wichtiges Thema. Wir brauchen Tests und bessere Masken, denn wir können die Heime keinesfalls komplett abriegeln.
Zum Glück haben wir keinen wirtschaftlichen Shutdown. Keinesfalls dürfen wir die wirtschaftliche Existenz der Menschen gefährden. Wo es geht, sollte es Home-Office geben, das gilt auch für Behörden. Aber es müssen sinnvole Regelungen her, die zeitlich befristet sind. Den Lockdown kann man bald nicht mehr weiterdrehen und immer nur weiter verlängern. Das hat ja nicht nur massive soziale und psychische Auswirkungen, sondern natürlich auch handfeste wirtschaftliche: Die Zahl der Insolvenzen steigt bereits spürbar! Das Versprechen der Wirtschaftshilfen war ja, dass sie ausreichend sein, unbürokratisch sein und schnell ausgezahlt werden. Das ist leider nicht der Fall. Wir haben Probleme vor allem bei Einzelhandel, Gastronomie und den Soloselbständigen. Hier stehen viele Leute massiv unter Druck, da muss weiter nachgebessert werden! Eine Fixkosten-Erstattung hilft z.B. dem kleinen Einzelhändler kaum, eine Insolvenz abwenden zu können. Mir scheint die Bazooka eher eine Attrappe oder Spielzeugpistole zu sein. Mit der Mehrwertsteuersenkung wurde viel Geld verplempert, jetzt wird an der falschen Stelle rumgegeizt. Hier muss der Bund dringend nachbessern und schneller auszahlen, die Menschen warten darauf!
Lassen Sie uns alle zusammen die nächsten Wochen vorsichtig aber auch optimistisch sein und uns Stück für Stück aus der Krise herausarbeiten.“