In seiner Rede zu TOP 20+27+29+30+32+38+42+43+47 (Finanzierung der Folgekosten der Pandemie – Notkredit bedarfsgerecht einsetzen und Anträge zur Corona-Pandemie) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Die Infektionszahlen in Schleswig-Holstein haben sich sehr erfreulich entwickelt und sind zuletzt noch einmal deutlich gesunken. Unser Bundesland ist bisher insgesamt deutlich besser durch diese Pandemie gekommen als die meisten Regionen in Deutschland und in Europa. Das soll auch die nächsten Monate so bleiben. Die Modellprojekte im Tourismus, in der Kultur und im Sport waren bzw. sind richtig und hätten meines Erachtens auch schon früher gestartet werden können. Und auch die Öffnungen, die am Montag in Kraft getreten sind, sind eine richtige und verantwortungsvolle Entscheidung. Schleswig-Holstein ist in dieser Phase auch ein Stück weit Vorbild für den Rest der Republik, was natürlich eine gewisse Verantwortung mit sich bringt. Wir müssen uns trotz der erfreulichen Fortschritte weiterhin an die geltenden Regeln halten, auch wenn ich verstehe, dass es nicht einfacher wird, da immer auf dem aktuellsten Stand zu sein.
Wir sind mittlerweile landesweit bei einer Inzidenz von unter 35 angekommen, was bedeutet, dass wir uns wohl zeitnah über weitere Öffnungsschritte Gedanken machen müssen. So sieht es das Infektionsschutzgesetz vor, das ja die rechtliche Grundlage für die verschiedenen Maßnahmen ist. Ich will aber noch einmal betonen: Insbesondere die Tourismus-Modellregion Schlei/Eckernförde war sehr erfolgreich. Die Teststrategie scheint sich auszuzahlen. Wichtig ist aber: Bei aller Euphorie müssen die Regeln beachtet werden, denn was man teilweise von der Insel Sylt hört und liest, muss man im Auge behalten.
Wir merken wieder: Das Öffnen des öffentlichen Lebens ist deutlich komplizierter als das Schließen. Die Maßnahmen müssen logisch, möglichst fair und aufeinander abgestimmt sein, damit sie akzeptiert werden, rechtssicher sind und entsprechend Wirkung erzielen. Wir haben da im letzten Frühjahr wertvolle Erfahrungen gesammelt, von denen wir jetzt profitieren, aber die Lage ist natürlich nicht eins zu eins mit 2020 vergleichbar. Die Inzidenzwerte sind zwar höher, die Dunkelziffer ist aber mit Sicherheit deutlich geringer und es gibt nennenswerte Impffortschritte, die die besonders Gefährdeten schon ganz gut schützen. Und es gibt deutlich mehr Erfahrungen mit dem Virus und der Krankheit und letztlich auch eine umfassende Teststrategie, die offenkundig funktioniert. Unser Öffnungsweg auch über die ‚3G‘, also Geimpfte, Genesene, Getestete, ist richtig und ganz entscheidend, um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in den nächsten Monaten zu verhindern. Ein digitaler Nachweis würde übrigens vieles einfacher machen. Der Bund muss da endlich liefern.
Es hat sich auch gezeigt, dass wir die ‚Bundesnotbremse‘ in Schleswig-Holstein nicht gebraucht hätten. Die Ausgangssperre ab einer Inzidenz von 100 ist und bleibt unverhältnismäßig – auf der offenbar infektionsfreien Insel Helgoland hat sich dies ganz besonders eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und auch in Neumünster hätten wir Chaos für Teile des Bundeslandes angerichtet, wenn wir ab 22 Uhr die entsprechenden Bahnlinien unterbrochen und die Autos auf der A7 kontrolliert hätten. Mit der notwendigen Verordnung zu Geimpften und Getesteten versucht die Bundesregierung offenkundig, einer Klatsche vor dem Verfassungsgericht aus dem Weg zu gehen.
Ich bin gespannt, wie dies ausgehen wird. Wenn die ‚Bundesnotbremse‘ so entscheidend für die aktuelle Entwicklung gewesen sein soll, frage ich mich, warum in unseren Nachbarstaaten trotz oftmals milderer Maßnahmen die Entwicklung ganz ähnlich ist und teilweise sogar besser.
Wir gehen derzeit davon aus, dass es in den nächsten Wochen weitere Fortschritte beim Infektionsgeschehen geben wird, so dass sich die Lage in Richtung Sommer zunehmend entspannen kann und wir zumindest in Europa hoffentlich ab Herbst unsere gewohnten Freiheiten nahezu vollständig zurückerhalten werden. Das wird auch Zeit: Gerade junge Familien waren und sind erheblich belastet, aber auch ältere und vorerkrankte Menschen, viele Beschäftigte im Gesundheitswesen, aber auch die vielen Menschen, die über viele Monate ihren Beruf gar nicht ausüben durften und massive wirtschaftliche Einbußen hinnehmen musste. All dies sollten wir jetzt nicht vergessen, weshalb auch viele Hilfsprogramme zunächst weiterlaufen müssen. Es wird wohl sehr bald weitere Öffnungsschritte bei den privaten Kontaktregeln, aber auch bei der Kultur, zum Beispiel bei den Kinos, beim Sport oder auch bei den Hochschulen geben müssen, wenn wir zum Beispiel auch nach Dänemark oder in die Schweiz schauen. Und keine Sorge: Wir werden jetzt nicht überdrehen, sondern konsequent und klar in unseren Entscheidungen bleiben.
Ich höre immer wieder Aussagen, nach denen der Pandemieverlauf in Schleswig-Holstein ja quasi Zufall sei: Die geographische Lage, die Mentalität der Menschen und die steife Brise seien angeblich entscheidend gewesen. Ich bin mit Blick auf die deutschlandweite Entwicklung überzeugt davon, dass dies auch eine gewisse Rolle gespielt haben mag, aber dass die Entscheidungen unserer Koalition nichts mit diesem Erfolg zu tun haben, glaube ich nun wirklich nicht. Entscheidend war im Rückblick wohl vor allem, dass wir immer schnell und konsequent reagiert und auf die Rechtssicherheit und Akzeptanz gesetzt haben: im letzten Frühjahr zum Beispiel, aber auch immer wieder bei Hotspots, weil es bei einer solchen Infektionskrankheit eben bestimmte Kipppunkte gibt, wo es dann im Zweifel zu spät ist. Es war und bleibt auch wichtig, sich mit einem breit aufgestellten Expertenteam zu beraten und nicht nur auf einzelne Modellierer zu hören, die sich bei der dritten Welle offenkundig zum Glück massiv geirrt haben. Herr Dr. Stegner wirft uns vor, dass wir im ‚Selbstlob-Modus‘ unterwegs seien. Das halte ich für einen sehr bemerkenswerten Vorwurf von jemandem, der selbst als Oppositionsführer einen Anteil am Erfolg für sich reklamiert. Aber wissen Sie was, Herr Dr. Stegner, ganz Unrecht haben Sie an diesem Punkt nicht: Auch SPD und SSW haben mit ihren Beiträgen hier im Parlament eine wichtige Rolle eingenommen.
Kommen wir zu den Kindern und Jugendlichen. Die Tests sind natürlich eine Zumutung, aber sie werden noch eine Zeitlang notwendig sein und sie tragen stark dazu bei, dass die Situation im Griff ist. Es ist gut, dass es jetzt die Bildungs- und Sozialmilliarde gibt; das ist wichtig für die Kinder und Jugendlichen. Das kann aber nur ein erster Schritt sein, um Defizite aufzuholen. Wir sehen den Bund da ganz besonders in der Pflicht, der sehr auf Schulschließungen gedrängt hat. Es ist auch in Schleswig-Holstein in erheblichem Umfang Schulunterricht ausgefallen, dies aufzuholen, wird wohl noch Jahre dauern. Und auch die Entwicklungsdefizite im frühkindlichen Bereich sind teilweise erheblich, da muss man sich nichts vormachen.
Eine vernünftige Öffnungsstrategie ist auch wichtig für eine schnelle wirtschaftliche Erholung. Dies gilt besonders für den bei uns so wichtigen Tourismus, der ja auch eine weitere wichtige gesellschaftliche Funktion hat, denn viele Menschen brauchen Abwechslung und Erholung. Unser gemeinsames Milliarden-Paket war richtig. Wir werden uns nicht aus der Krise heraussparen können. Haushaltsdisziplin und klare Schwerpunktsetzung werden aber sehr wichtig sein. Nicht zu investieren, wäre verantwortungslos und würde den notwendigen Aufschwung gefährden. Was den notwendigen Aufschwung ebenfalls gefährden würde, wären neue Steuern. Diese können wir uns eigentlich nur für Google, Amazon, Apple oder Facebook vorstellen, aber nicht für unseren Mittelstand. Wir werden aus den Schulden wieder herauswachsen müssen und ich fürchte, dass dies in diesem Jahrzehnt mit Blick auf die globale Entwicklung und die Demographie in Deutschland schwieriger werden wird als nach der Finanzkrise. Unsere gemeinsame Umschichtung innerhalb des Corona-Pakets ist notwendig und sinnvoll. Davon profitieren vor allem Familien, der ÖPNV und durch die Teststrategie letztlich alle. Die jüngste Steuerschätzung macht Hoffnung, dass es am Ende nicht so schlimm werden wird wie befürchtet und wir den Kreditrahmen nicht ausschöpfen müssen. Die finanzielle Lage bleibt aber so oder so angespannt. Unsere Kommunen kommen durch unsere Maßnahmen finanziell übrigens vergleichsweise gut durch diese Krise. Diese Koalition ist sehr kommunalfreundlich, auch wenn gelegentlich versucht wird, einen anderen Eindruck zu erzeugen. Die Stabilität unserer Kommunen ist aber auch wichtig zur Bewältigung dieser Krise, auch sie müssen investieren, vor allem in den Schulbau, in Kitas und in die Digitalisierung.
Die Weiterentwicklung der Terminvergabe ist richtig. Eine Registrierung ist besser als stundenlang vor dem Rechner zu sitzen. Das Grundproblem wird aber bleiben: Es gibt immer mehr Impfberechtigte, aber es mangelt weiterhin an Impfstoff. Solange dies so ist, wird es Enttäuschungen geben und ein Stück weit auch eine Lotterie bleiben. Technische Probleme müssen natürlich abgestellt werden, aber wenn ich mich bundesweit umschaue, weiß ich nicht, wo alles besser laufen soll. Beim Impfranking wird meines Erachtens zu stark auf die Erstimpfungen geschaut. Die sind natürlich wichtig, aber man muss auch die Zweitimpfungen im Blick haben, wo wir weit vorne sind. Man darf auch nicht vergessen, dass einige Bundesländer Sonderlieferungen vom Bund erhalten haben, während wir uns in der Zusammenarbeit mit Dänemark selbst helfen mussten.
Herr Dr. Stegner hatte beim Impfen zuletzt Niedersachsen als Vorbild für Schleswig-Holstein genannt. Ich halte diese Aussage für sehr gewagt: Niedersachsen ist damit gestartet, dass Impftermine nach Vornamen vergeben wurden und zwar danach, welche Generation dahinter vermutet wurde. Aktuell steht die Landesregierung in Niedersachsen massiv in der Kritik, weil dort die nächsten Wochen kaum Erstimpfungen möglich sein werden, weil man sich jetzt dringend um die Zweitimpfungen kümmern muss. Ich will damit sagen: Das kann kein Vorbild für uns sein. Es ist sinnvoll, unser System weiter zu verbessern, aber Mangelverwaltung bleibt eben auch Mangelverwaltung und dafür trägt die Bundes- und nicht die Landesregierung die Verantwortung.
Wichtig halten auch wir eine gute Zusammenarbeit im Grenzland und mit unseren dänischen Freunden. Es ist schon bemerkenswert, dass wir nach Dänemark fahren können, aber nicht nach Mecklenburg-Vorpommern, das muss sich ändern. Die niedersächsische Landesregierung hat gestern eine peinliche Niederlage vor Gericht kassiert und muss die Landeskinderregel aufheben. Die SPD fordert immer wieder mehr Zusammenarbeit im Norden. Ich würde das auch begrüßen, aber an solche unsinnigen Maßnahmen werden wir uns nicht anpassen. Wir werden unseren Schleswig-Holstein-Weg weitergehen. Und ich würde mich freuen, wenn sich auch die Opposition weiterhin konstruktiv daran beteiligen wird.“
Es gilt das gesprochene Wort!