In seiner Rede zu TOP 21+39+46+47 (u.a. Keine Toleranz bei Drohungen, Schmähungen und Verunglimpfungen) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Unser Grundgesetz wird heute 75 Jahre alt – und das ist ein Grund zur Freude. Das Grundgesetz ist – in meinen Augen – ein großartiges Fundament unserer parlamentarischen Demokratie und unseres Rechtsstaates, das sich wirklich bewährt hat. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben im ,Parlamentarischen Rat' relativ kurz nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg, der NS-Terrorherrschaft und dem Holocaust herausragende und sehr weitsichtige Arbeit geleistet, um eine neue Demokratie auf deutschem Boden aufzubauen, die deutlich stabiler und dadurch nachhaltiger ist, als es die Weimarer Republik als erste deutsche Demokratie war. Die Fehler der Weimarer Verfassung sollten unbedingt vermieden werden.
Die entscheidenden Lehren aus der NS-Zeit waren zum einen die sehr klare Betonung der Würde des einzelnen Menschen und zum anderen die sehr kluge Neugestaltung des politischen Systems. Ich bewundere diese große Leistung bis heute! Das ist eine deutsche Erfolgsgeschichte, eine europäische Erfolgsgeschichte!
Das Grundgesetz sollte ein Provisorium sein, aber mit 75 Jahren ist es nun tatsächlich schon eine recht alte Verfassung. Das Grundgesetz wurde in diesem langen Zeitraum oft geändert, aber meistens ja eher in Detailfragen.
Von 1949 bis 1990 durften nur die Westdeutschen vom Grundgesetz profitieren, bis dann vor 34 Jahren die erste freigewählte Volkskammer entschieden hat, dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beizutreten – die deutsche Wiedervereinigung! Man sollte an diesem Tag auch nicht vergessen, dass die westlichen Siegermächte eine sehr entscheidende Rolle beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland gespielt haben. Auch dies war alles andere als selbstverständlich und eine große historische Leistung!
Meine Damen und Herren! So richtige Partystimmung mag trotz dieses stolzen Jubiläums aber zumindest bei mir nicht so richtig aufkommen. Und das liegt am aktuellen Zustand unserer Demokratie bzw. am Zustand unserer Gesellschaft.
Deshalb sollte dieses Jubiläum dafür genutzt werden, an den Neuanfang nach dem Krieg und auch die Wiedervereinigung zu erinnern, aber vielleicht auch mal innezuhalten und zu schauen, ob das Grundgesetz eigentlich noch so richtig gelebt wird und auch noch zeitgemäß ist.
Unsere Demokratie ist seit mindestens 10 Jahren zunehmend herausgefordert.
Eine Demokratie ist nie selbstverständlich, sie muss gelebt, immer wieder erneuert und oft auch verteidigt werden – gegen ihre Gegner von innen und von außen, wie wir in diesen Zeiten sehr schmerzlich feststellen.
Wir wollen heute deshalb auch das sehr klare Signal des Landtages setzen, dass wir es nicht hinnehmen und quasi Normalität werden lassen wollen, wenn Wahlkämpfer an der Basis oder Kommunalpolitiker – also Menschen, die in der Regel ihre Freizeit opfern, um die Demokratie mit Leben zu erfüllen – oder auch wenn hauptamtliche Mandatsträger beleidigt, bedroht oder auch physisch angegriffen werden. Wir nehmen es auch nicht hin, wenn zum Beispiel in Flensburg Regenbogenflaggen gestohlen und dann verbrannt werden, um die Queer-Szene zu beleidigen und einzuschüchtern.
An solche widerlichen Vorfälle wollen und werden wir uns nicht gewöhnen, denn sie haben ja ein ganz klares Ziel: Sie richten sich gegen unsere pluralistische Gesellschaft, sie sollen Menschen mundtot machen und sie sind Angriffe auf unsere Demokratie insgesamt, denn solche Attacken machen ja auch immer was mit den Betroffenen. Wir müssen ihnen gemeinsam den Rücken stärken, denn es darf sich nicht wiederholen, dass sich die Demokratie und ihre Repräsentanten dadurch schrittweise zurückziehen.
Hier ist der Rechtsstaat gefordert, sehr konsequent zu handeln, aber es ist meines Erachtens auch dieser Landtag gefordert, ein glasklares Zeichen zu setzen – gerade an diesem besonderen Tag – und ich bin sehr dankbar, dass dies in diesem Hohen Hause auch der Fall ist. Das ist in dieser Form in allen anderen Bundesländern derzeit nicht möglich.
Meine Damen und Herren! Wir müssen aber auch grundsätzlicher an das Thema herangehen: Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Demokratie und in die Institutionen unseres Staates muss flächendeckend dringend wieder gestärkt werden. Die Krisen der vergangenen Jahre haben in unserer Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Wir erleben in mehreren Bereichen eine oftmals sehr ungesunde Polarisierung sogar Spaltung der Gesellschaft: Da geht es um die Migration, den Klimaschutz, das Pandemie-Management oder auch den Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Die Inflation als Folge aus den Krisen und der Krisenbewältigung der vergangenen Jahre ist in meinen Augen besonders gefährlich. Die Deutschen sind da besonders empfindlich, wie wir noch aus den 20er und 30er Jahren wissen.
Wir beobachten ganz ähnliche Herausforderungen für die Demokratie in eigentlich allen westlichen Staaten – in Frankreich, Italien, Niederlande, Skandinavien, Großbritannien, in den USA und in Osteuropa sowieso.
Unsere Demokratie ist wohl immer noch in einem deutlich besseren Zustand als in vielen anderen vergleichbaren Ländern. Aber wir sollten sehr realistisch und wachsam sein: Was anderswo bereits vor einigen Jahren kaputt gegangen ist, droht sich hier zu wiederholen, wenn wir nicht aufpassen.
Ich schaue mit großen Sorgen auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und in Brandenburg, aber auch auf die Europawahl – in Deutschland und darüber hinaus, beispielsweise in Frankreich.
Die gute Nachricht ist: Wir können etwas tun, um die Populisten und Extremisten wieder klein zu machen. Es liegt an uns Demokratinnen und Demokraten. Wir haben vieles selbst in der Hand – das ist ja gerade der reizvolle Wesenskern der Demokratie.
Was alle westlichen Gesellschaften in ähnlicher Form herausfordert, sind meines Erachtens die Abstiegsängste in der Mittelschicht in älter werdenden Gesellschaften. Wir sehen in allen relevanten Umfragen einen sehr direkten Zusammenhang zwischen der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage und der Zustimmung zur Demokratie. Deshalb ist es von elementarer Bedeutung, den Menschen die Ängste vor einem wirtschaftlichen Niedergang zu nehmen, indem man die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig stärkt, das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft erneuert und eben auch Perspektiven zur Vermögensbildung für die breite Mittelschicht aufzeigt. Das alte Versprechen ,Unseren Kindern wird es mal besser gehen' ist heute der Sorge gewichen 'Hoffentlich geht es unseren Kindern mal so gut wie uns'. Ich glaube, das macht was mit den Menschen. Das muss man sehr genau im Blick behalten und daran arbeiten.
Die größte Gefahr für unsere Demokratie kommt derzeit zweifelsohne von rechts außen durch das Erstarken der Rechtspopulisten und Extremisten.
Das Drehbuch zur Stabilisierung kennen wir bereits seit rund 100 Jahren, aber auch aus den USA und anderen Ländern: Stichwort Fake News, Vertrauen, das man absichtlich zerstört, dass man konsequent lügt, sodass irgendwann fast nicht mehr klar ist, was überhaupt noch Wahrheit und was Unwahrheit ist, dass man demokratische Institutionen verächtlich macht.
Es gibt aber auch erheblichen Einfluss aus dem Ausland, aus Russland, China, aus anderen Autokratien, die uns in Europa destabilisieren wollen, die mit ihren Troll-Armeen Hetze verbreiten und auch gezielt negative Stimmung durch Migration anheizen. Man erinnere sich an die Menschen, die nach Russland, nach Belarus eingeflogen und Richtung EU geschickt worden sind.
Da dürfen wir nicht mehr so naiv sein wie in der Vergangenheit.
Wir sehen aber auch eine zunehmende Radikalisierung der AfD, beispielsweise jetzt nach dem Urteil aus Münster. Frau Weidel sprach dann insgesamt von einem Kampf gegen das Establishment und meinte nicht nur die etablierten Parteien. Sie meinte die Medien, sie meinte den Staat inklusive der Gerichte.
Das ist aus meiner Sicht eine neue Radikalisierung und ich glaube, wir haben hier Schleswig-Holstein im Umgang mit der AfD gesehen, dass klare Kante zeigen muss. Man darf aber auch nicht über jedes Stöckchen springen.
Auch dieser Opfermythos ist eine Herausforderung für uns. Die AfD-Verbotsdebatte muss man dann führen, wenn sie sinnvoll ist, und nicht dann, wenn es diesen Opfermythos im Zweifel eher stärkt.
Ich glaube, man macht Populisten am besten klein, wenn man die Probleme klein macht, die die Menschen bewegen und zu ihnen getrieben haben.
Es gibt aber auch Gefahren von links außen, auch das möchte ich heute ansprechen. Da meine ich auch die Linkspartei und auch dieses Bündnis Sarah Wagenknecht, das aus meiner Sicht eigentlich nur eine zweite Linkspartei ist. Es gab ja Äußerungen von Frau Prien und auch von Herrn Günther dazu.
Ich verstehe natürlich, dass es auch um die Frage geht, wie man im Osten überhaupt noch Koalitionen bilden kann. Ich warne aber auch davor, so zu tun, als wären diese Parteien normale demokratische Parteien. Das sind sie eben nicht. Und auch bei diesen Parteien sehen wir, wie bei den rechten Parteien, einen Einfluss aus dem Ausland, eine große Neigung zu Autokraten, die schon fast pathologisch ist.
Ich warne auch vor Gruppen wie der Letzten Generation. Ich habe mich unlängst mit einem Vertreter bei einer Schuldiskussion nicht-öffentlich getroffen. Es war hoch interessant. Doch wenn man Straftaten und Gewalt als legitimes Mittel sieht, dann ist das ein Problem. Wenn man eine Demokratie und den Rechtsstaat offen infrage stellt und mit einer Notstandsargumentation daherkommt, dann kann das aus meiner Sicht nicht toleriert werden.
Und ich sehe mit großer Sorge den Antisemitismus an unseren Hochschulen und anderswo. Wir werden morgen noch umfangreicher darüber sprechen. Das macht mir große Sorgen, gerade auch, wenn ich da auf die Islamisten schaue, wie beispielsweise bei der Kalifatsdemo in Hamburg. Da sagen einige: ,Naja, wenn da tausend Leute rumlaufen...'. Doch ich halte das für sehr gefährlich, weil diese Menschen auf TikTok vor allem junge, auch gerade muslimische Menschen in Deutschland, ansprechen und gegen unsere Gesellschaft hetzen, gegen unsere Demokratie und wir haben denen in den Schulen oft nichts entgegenzusetzen, wenn wir ehrlich sind. Da müssen wir mehr tun.
Meine Damen und Herren, man könnte noch viel über die Rolle und den Strukturwandel in den Medien sprechen, über die sozialen Medien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Rolle der Parteien, die ihrem Auftrag besser nachkommen müssen, oder über das Selbstverständnis der Parlamente.
Ich glaube, wir haben viele Möglichkeiten, die Demokratie wehrhafter zu machen, unsere Demokratie zu stabilisieren. Wir brauchen eine gute Diskussionskultur. Aus meiner Sicht haben wir in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren viel gut gemacht. Das muss man an diesem Tag auch sagen.
Wir müssen das demokratische Meinungsspektrum ordentlich abdecken, Profil bilden, die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich machen, politische Bildung fördern und für unsere Demokratie immer auch vernünftig werben. In allen Unterschieden, die wir miteinander haben, ist dieser Grundkonsens wichtig. Vielen Dank, dass wir das in diesem Hohen Hause haben."
Sperrfrist Redebeginn!
Es gilt das gesprochene Wort.