In seiner Rede zu TOP 23 (Für ein würdiges Gedenken an die friedliche Revolution 1989/1990) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Die friedliche Revolution in der damaligen DDR und die daraus folgende Wiedervereinigung unseres Landes ist mit Sicherheit das bedeutendste Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte und bis heute ein großes Glück für unser Land. Ich glaube, man kann es sich als jemand, der das Glück hatte, in der liberalen und wohlhabenden Bundesrepublik geboren zu wer-den, kaum ausmalen, welch enormes Risiko es für die Menschen, die da-mals gegen das SED-Regime auf die Straße gegangen sind, bedeutet hat – für sich selbst, aber auch für ihre Familien. Diese mutige Tat zigtausender Menschen kann man gar nicht genug würdigen.
Ich weiß, dass man es nicht komplett gleichsetzen kann, aber ich finde, dass gerade wir Deutsche – mit Blick auf unsere Geschichte – uns in diesen Tagen noch viel stärker mit den jungen Menschen in Hongkong verbunden fühlen und dies auch zum Ausdruck bringen sollten. Es gab damals den Kampf der Systeme, den meine Generation fast nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt, aber etwas Ähnliches erleben wir heute wieder. Die Marktwirtschaft hat sich zwar global als Wirtschaftssystem durchgesetzt, aber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit leider noch lange nicht. Sie sind sogar in die Defensive geraten. Und ich finde es zwar gut, dass sich Außenminister Maas mit Joshua Wong in Berlin hat fotografieren lassen. Aber wenn es um die Freiheit geht, sollte unsere Bundesregierung meines Erachtens sehr viel klarer und wahrnehmbarer sein. China ist ein sehr wichtiger Handelspartner von uns, aber bei den Menschenrechten dürfen wir nie wie-der beidrehen. Wenn der Eindruck entsteht, dass wir da in eine wirtschaftliche oder gar politische Abhängigkeit geraten sind, dann ist dies fatal und gefährlich!
Ich habe selbst Verwandte, die unter der Staatssicherheit massiv zu leiden hatten. Besonders schlimm ist die Tatsache, dass da auch vor der Familie nicht Halt gemacht wurde. Die Stasi war ein perfider und zutiefst menschenverachtender Terrorapparat der SED, der zum Glück im November 1989 dem Freiheitsdrang der Menschen nichts mehr entgegensetzen konnte. Etwas später haben Bürgerrechtler die Stasi-Einrichtungen gestürmt und besetzt, was dazu geführt hat, dass nach der Einheit eine Behörde gegründet werden konnte, die die meisten Deutschen als Gauck-Behörde kennen und die sehr viel zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beigetragen hat. Allen Versuchen, die Arbeit dieser Behörde einzuschränken oder einzustellen, sollten wir Demokraten entschieden entgegentreten.
Obwohl ich damals erst fünf bzw. sechs Jahre alt war, kann ich mich relativ gut an die Wendezeit erinnern. Ich stand wenige Tage nach dem Fall der Mauer in Berlin mit meiner Familie an einer Straße im lauenburgischen Mustin, wo dann auch endlich die Grenze geöffnet wurde, und wo sich Tau-sende Menschen aus West und Ost unglaublich über dieses Ereignis gefreut haben. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber die Bilder von der gestürmten Mauer in Berlin und aus der Prager Botschaft berühren mich noch heute, wenn ich sie im Fernsehen sehe. Die jahrzehntelange Teilung war die Folge eines von unserem Volk verursachten, unfassbar grausamen Welt-kriegs, in dem wir sehr viel Schuld auf uns geladen hatten. Mit der Wieder-vereinigung 1990 hatten wir Deutsche großes Glück. Die Revolution in der DDR war eigentlich schon ein mittelgroßes Wunder. Der sozialistische Ost-block war – und das war jetzt für viele noch keine Überraschung – schlichtweg wirtschaftlich am Ende, aber ohne besonnene Reformer wie Michail Gorbatschow wäre es mit Sicherheit nicht unblutig ausgegangen. Die Truppen sind weitestgehend in den Kasernen geblieben. Die spätere Wiedervereinigung wäre in dieser Form auch ohne US-Präsident Bush Senior nicht möglich gewesen, der die Briten und Franzosen überzeugen konnte, dass Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher das Richtige tun, indem sie die schnelle Wiedervereinigung angestrebt haben.
Seit der Wende ist unglaublich viel Positives in Deutschland passiert. Ob man nun Ostdeutscher oder Westdeutscher ist, spielt zum Glück eine immer geringere Rolle. Die Westdeutschen haben viel Solidarität beim Aufbau Ost gezeigt, aber es gibt gerade im Osten natürlich auch viel Unmut, Frust und Enttäuschung, weil vieles eben auch nicht funktioniert hat. Vielen Ostdeutschen fehlt es an westdeutschem Verständnis für ihr Lebenswerk. Die lange Teilung und die verschiedenen Systeme haben bei vielen Deutschen doch tiefere Prägungen hinterlassen, als man damals glaubte. Damit sollten wir aber offen umgehen. Mir fällt es schwer zu akzeptieren, dass so viele unserer Landsleute im Osten Parteien wie die Linke, die ja letztlich nur die umbenannte SED ist, oder zuletzt die AfD gewählt haben. Da spielt ja nicht nur Frust, sondern oft auch eine völlig andere Sicht der Dinge eine Rolle. Der Sozialismus wird im Osten noch immer positiver gesehen, die Aufarbeitung des Dritten Reiches gab es so nicht, in den größtenteils abgeschotteten Gesellschaften des Ostblocks gab es eben keine Demokratie, keinen Rechtsstaat und keinen Pluralismus. Das wirkt natürlich immer noch nach, aber andererseits haben die Westdeutschen und die etablierten Parteien eben auch Fehler gemacht. Wer ist schon ohne Fehler? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir viel mehr miteinander ins Gespräch kommen müssen. Rund 20 Prozent der Westdeutschen waren laut Umfragen noch nie in den neuen Bundesländern. Das ist doch unglaublich. Wir brauchen also mehr Austausch auf allen Ebenen, mehr Gedenk- und auch Begegnungsstätten – vor allem für die Jugend – und mehr historische und politische Bildung.
Der Tag der Deutschen Einheit ist ein Tag der Freude. In diesen bewegten Zeiten sollten wir mehr denn je daran erinnern, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind. Unsere Demokratie fühlt sich für viele so selbstverständlich an. Wir müssen aber ständig an ihr arbeiten und sie weiterentwickeln. Wenn viele Menschen – gerade in Ostdeutschland – denken, dass sie ihre Meinung nicht frei äußern können, ist das sehr bedenklich. Niemand hat das Recht auf widerspruchslose Meinungsäußerung, aber wir müssen auch an unserer Diskursfähigkeit arbeiten. Ich freue mich auf das Bürgerfest in Kiel. Es hätte auch Lübeck sein dürfen, aber die Landeshauptstadt ist auch ein guter Ort. Präsentieren wir uns als gute Gastgeber!“