In seiner Rede zu TOP 36B (Mündlicher Bericht zum Perspektivplan) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Wir sprechen hier im Hohen Hause ja mindestens seit dem vergangenen Oktober vor allem darüber, dass wir dem zunehmenden Infektionsgeschehen mit immer drastischeren Maßnahmen begegnen müssen. Das ist mit Blick auf die gestiegene Zahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle leider notwendig geworden, aber der Ausnahmezustand des Lockdowns und der massive Eingriff in die Grundrechte von uns allen – zum Schutze der Allgemeinheit – darf natürlich nicht zum Dauerzustand werden. Der Lockdown hat mit zunehmender Härte und Dauer auch immer stärkere soziale und wirtschaftliche Nebenwirkungen, die wir nicht ausblenden dürfen.
Mit dem bundesweiten Lockdown soll bis Mitte Februar das erklärte Ziel erreicht werden, das Infektionsgeschehen erheblich zu reduzieren – am besten unter die viel diskutierte Marke der 50er-Inzidenz, was zu dieser Jahreszeit ja wirklich ambitioniert ist. Man kann über die Sinnhaftigkeit der Schwellenwerte 35 und 50 unterschiedlicher Meinung sein, sie sind aber im Infektionsschutzgesetz des Bundes festgeschrieben, das die rechtliche Grundlage für unsere Maßnahmen darstellt. Die allermeisten Menschen sind – trotz der zum Teil erheblichen Belastungen – nach wie vor sehr diszipliniert. Bei einigen gesellschaftlichen Gruppen muss man die Regeln vielleicht noch einmal deutlicher in Erinnerung rufen, was meines Erachtens nicht nur Polizei und Bußgelder erfordert, sondern auch mehr Aufklärung und gezielte Ansprache. Was bisher fehlte, ist das Licht am Ende des Tunnels in Form von klaren Perspektiven für die einzelnen Bereiche des öffentlichen Lebens. Wenn man ambitionierte Zielmarken ausgibt, muss man meines Erachtens irgendwann auf dem Weg dorthin auch sagen, was denn bei deren Erreichung geschehen wird. Dafür ist jetzt die Zeit gekommen. Ansonsten droht, unterwegs die Motivation verloren zu gehen. Das gilt für jeden Einzelnen von uns wie auch für unsere gesamte Gesellschaft.
Wir schlagen nun eine sinnvolle gemeinsame Strategie für die kommenden Wochen und Monate bis April vor, um für die verschiedenen Bereiche realistische Perspektiven aufzuzeigen. Ich freue mich sehr, dass es uns als Jamaika-Koalition gelungen ist, hierfür den bundesweit ersten Aufschlag zu machen. Nach diesem Lockdown müssen wir sehr überlegt wieder zu Maßnahmen übergehen, die das regionale Infektionsgeschehen angemessen berücksichtigen, das dann jeweils hoffentlich deutlich niedriger sein wird als aktuell. Es geht uns nicht darum, jetzt den Eindruck zu vermitteln, dass sich sofort alles ändern wird. Das wird nicht der Fall sein. Es geht uns darum, aufzeigen zu können, was passiert, wenn die Ziele des Lockdowns erreicht werden. Wir werden weiterhin sehr aufmerksam und konsequent bleiben müssen.
Priorität hat für uns vor allem die verantwortbare Öffnung von Kitas und Schulen, denn in den jungen Familien ist der Druck mittlerweile enorm und die Bildung der jungen Generation ist von elementarer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Wir brauchen aber auch für die vielen betroffenen Unternehmen, für den kulturellen Bereich und auch für den Sport angemessene Perspektiven. Die aktuelle Entwicklung in Deutschland ist grundsätzlich positiv, sie reicht aber noch nicht aus. In Schleswig-Holstein haben wir eher eine stagnierende Situation, allerdings kommen wir auch von einem anderen Infektionsniveau. Die Mutationen sind da, auch in Schleswig-Holstein, und das bereitet uns Sorgen. Deswegen brauchen wir weiterhin Disziplin. Aber wir wissen auch noch nicht genau, welche Herausforderungen diese Virus-Mutationen für uns darstellen. Wir haben vor allem Probleme in den Heimen, die wir noch besser schützen werden, und in den Krankenhäusern und wir haben Hotspots wie beispielsweise den Kreis Pinneberg, um die wir uns intensiv kümmern müssen.
Es kann aber nicht immer nur um Verbote gehen, sondern es muss natürlich auch um viele andere Maßnahmen gehen. Und die wichtigste Maßnahme ist aus meiner Sicht das Impfen. Wenn die Altersgruppe über achtzig Jahre und die besonderen Berufsgruppen, also Pflegekräfte, Mitarbeiter in den Krankenhäusern usw., zum überwiegenden Teil geimpft sind, dann hat das massive Auswirkungen auf die Inzidenzwerte. Wir habend das in einigen Kreisen gesehen, da würde das z.B. bedeuten, dass man statt 85er- nur noch 35er-Inzidenzwerte hätte und natürlich kommt es dort dann auch zu weniger schweren Verläufen und Todesfällen, wenn diese Gruppen geschützt sind. Eine Impfung hat massive Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen, deshalb muss es an dieser Stelle so schnell wie möglich vorangehen. Wir haben in Schleswig-Holstein erfolgreich die Impfzentren aufgebaut, wir haben die Terminvergabe gut hinbekommen und weiter optimiert. Wir haben Risikopuffer geschaffen für die Zweitimpfung. Das klingt banal, aber wir sehen ja, welche Probleme an dieser Stelle in anderen Bundesländern entstehen angesichts der Lieferprobleme.
Die Impfstofflieferungen sind ein einziges Desaster. Ich kann es mit Blick auf die Optionen, die man als EU-Kommission nicht gezogen hat, mit Blick auf die Verträge, die aktuell eine große Rolle spielen, leider nicht anders sagen. Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf einen Schuldigen zu zeigen, für mich ist entscheidend, wie man jetzt die Produktionskapazitäten kurzfristig erhöhen will und kann. Sanofi stellt jetzt den Impfstoff von anderen Herstellern her, das ist also möglich, d.h. man muss sich jetzt zusammensetzen, denn wir brauchen einen Impfgipfel und wir brauchen Klarheit über die Lieferungen von Impfstoff für die nächsten Wochen und Monate.
Es wird jetzt auch über Medikamente gesprochen – Herr Spahn hat ja gerade für 400 Millionen Euro in den USA bestellt. Ich finde es bemerkenswert, dass nationale Alleingänge also auf einmal möglich sind. Ich kann nicht einschätzen, welche Wirksamkeit diese Medikamente haben, aber viel größere Hoffnung machen mir Schnelltests zur Selbstanwendung. Das ist für den privaten Bereich wichtig, aber auch für Schulen und Unternehmen. Das ist eine Maßnahme, die uns richtig voranbringen kann.
Neben unserem Vorschlag wird es wohl auch einen gemeinsamen Vorschlag von Bayern, Berlin und dem Bund für eine bundesweite Strategie für die nächste Ministerpräsidentenkonferenz geben. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich die weitere Diskussion um Perspektiven entwickelt. Wir wünschen uns eine bundesweite sinnvolle Lösung. Aber wenn das nicht möglich ist, sollten wir das in Schleswig-Holstein alleine umsetzen, bzw. in enger norddeutscher Abstimmung. Die Diskussion um eine landes- oder kreisweite Umsetzung ist spannend, wobei ich mich im Grundsatz für den landesweiten Ansatz ausspreche, bei dem aber Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten möglich sind. Wenn das dauerhaft beim Infektionsgeschehen innerhalb Schleswig-Holsteins deutlich auseinandergeht, wird man darüber sprechen müssen.
Wir haben im letzten Frühjahr schon viele Erfahrungen sammeln können mit Stufenplänen, beispielsweise bei den Themen Kita, Veranstaltungen und Tourismus. Man kann jetzt über viele Details lebhaft diskutieren, es gibt auch viele Enttäuschungen, viele Kompromisse sind dabei, aber auch viele Prioritätensetzungen. Öffnen ist leider schwieriger als Schließen, auch das kennen wir aus dem letzten Frühjahr. Man darf es insgesamt nicht übertreiben, alle Maßnahmen müssen logisch, fair und nachvollziehbar sein. Die Abstimmung mit dem Expertenrat ist genau richtig und ich muss auch erwähnen, dass mich unser Expertenrat deutlich mehr überzeugt als der auf Bundesebene.
Über den besonders wichtigen und sensiblen Bereich Schule werden wir gleich intensiv sprechen. Aber auch die Frisöre und körpernahen Dienstleistungen sind wichtig für das Wohlbefinden vieler Menschen. Um den Bereich Gastronomie müssen wir uns besondere Sorgen machen, deswegen unterstützen Sie bitte diese Branche mit Essens-Abholungen vor Ort, sichern Sie die Arbeitsplätze. Click & Collect ist auch im Einzelhandel wichtig, aber auch dort brauchen wir schnell Perspektiven. Der Tourismus ist in fast keinem Bundesland ein so großer Arbeitgeber wie bei uns, d.h. auch dort brauchen wir dringend Perspektiven. Und für den kulturellen Bereich will ich als Beispiel mal die Kinos ansprechen. Die Betreiber fürchten ja ebenfalls, dass sie vor April keine Besucher haben werden. Vielleicht macht es dort ja wieder Sinn, zur Überbrückung Autokinos zu erlauben. Wir brauchen letztlich auch eine bundesweite Öffnung, denn nur für Schleswig-Holstein werden keine neuen Filme geliefert werden. Wir brauchen beim Sport zunächst vor allem die kontaktfreien Sportarten, die wir ermöglichen müssen und wir müssen auch darüber reden, wie wir den Kinder- und Jugendsport organisieren können.
Abschließend möchte ich sagen: Es wird jetzt über Auslandsreisen gesprochen. Wir müssen da auf konsequente Tests und Quarantäne setzen und nicht auf Verbote. Es wird momentan viel über ‚No Covid‘ oder ‚Zero Covid‘ diskutiert und die Frage ist natürlich, ob das realistisch ist, ob das überhaupt gesellschaftlich akzeptiert werden kann und ob das rechtlich möglich ist. Momentan ist das nicht der Fall. Klar ist für uns, dass wir mit Corona werden leben müssen, das Virus verschwindet nicht, da muss sich niemand etwas vormachen. Deswegen brauchen wir die Perspektive zur Rückkehr zur Normalität. Aber in den nächsten Wochen und Monaten steht an, dass wir eine dritte Welle vermeiden müssen. Wir müssen an allen Stellen große Fortschritte machen und vor allem den Sommer nutzen, denn wir müssen einen dritten Lockdown im kommenden Herbst und Winter unbedingt vermeiden. Aber dabei müssen wir auch die Gesellschaft zusammenhalten, das sehen wir nicht nur in Holland.“