In seiner Rede zu TOP 39A (Dringlichkeitsantrag zur Bewältigung der Corona-Krise) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Ich finde es gut und wichtig, dass wir vor einer Ministerpräsidentenkonferenz debattieren, weil die Menschen meiner Meinung nach erwarten, dass sie nachvollziehen können, wie Beschlüsse zustande kommen. Deswegen ist es richtig, dass wir als Parlament vorher und nachher tagen und das transparent machen. Die Lage ist weiterhin angespannt, aber der Lockdown in den vergangenen Monaten hat auch erheblich Wirkung gezeigt. Die Inzidenz stagniert in Schleswig-Holstein derzeit bei etwa 50, was über Monate die ausgegebene Zielmarke war. Anderswo in der Republik, das sehen wir beispielsweise in der direkten Nachbarschaft in Hamburg, steigen die Zahlen derzeit wieder. Wir befinden uns offenbar bereits in der dritten Welle, es ist eigentlich keine Überraschung, dass es sie gibt, aber die spannende Frage ist, wie heftig sie uns trifft.
Die Hygieneregeln werden wohl noch einige Monate bleiben müssen. Ich höre auch zunehmend aus Gesundheitsämtern, dass nicht mehr gesagt wird, mit wem man sich getroffen hat. Das ist ein Riesenproblem, weil im Zweifel infizierte Menschen weiterhin draußen rumlaufen und andere Menschen anstecken. Aber wir sehen auch, dass viele Ausbrüche mit der Nichtbeachtung der Regeln zu tun haben. Aber einen Lockdown – in dieser Form – bis in den Sommer kann ich mir nicht vorstellen. Wir müssen einerseits sehr aufpassen, dass wir die Situation im Griff behalten, beispielsweise auf den Intensivstationen. Und andererseits brauchen wir an vielen Stellen Entlastungen, denn die wirtschaftlichen und sozialen Nebenwirkungen des Lockdowns sind enorm – und das ist ja auch zunehmend zu spüren. Die Akzeptanz einiger Maßnahmen nimmt zunehmend ab. Und das hat ja auch Gründe. Wenn man auf die Wirtschaftshilfen blickt, wo viele Unternehmer uns alle doch anschreiben und sagen: ‚Ich warte seit Wochen und Monaten darauf, dass endlich Abschlagszahlungen kommen.‘ Da geht es jetzt zwar ein bisschen voran, aber es dauert insgesamt zu lange, weil viele Menschen existenziell davon abhängen. Der Blick in andere europäische Länder zeigt: Fast alle öffnen in nennenswertem Umfang, obwohl sie deutlich höhere Inzidenzen haben als wir. Die britische Virusvariante wird bei uns zunehmend dominant. Sie ist offenbar länger ansteckend, was natürlich eine Herausforderung ist und sie ist wohl gefährlicher für mehrere Altersgruppen. Darauf müssen wir uns einstellen, z.B. bei der Quarantäneanordnung. Und wir müssen bei Hotspots besonders reagieren, damit wir diese regionalen Ausbruchsgeschehen schnell eindämmen können.
Es gibt in diesen schwierigen Zeiten auch gute Nachrichten: Die Impfstoffe sind offenkundig hochwirksam. Das gilt übrigens auch für die britische Variante. Auch der Impfstoff von AstraZeneca scheint doch sehr viel besser zu sein, als der Ruf, der zum Teil durch verantwortungslose Äußerungen entstanden ist von Vertretern, die nicht wirklich wussten, wovon sie reden. Und ich bin gespannt, ob dieser Impfstoff schon bald deutlich mehr Menschen zur Verfügung stehen wird. Wir werden bald mehr Impfzentren öffnen, aber ich hoffe, dass es uns bald auch über die Hausärzte gelingen wird, diesen Impfstoff zu verimpfen. Das wäre ein großer Fortschritt, wenn wir denn mehr davon zur Verfügung haben. Das Hauptproblem der zweiten Welle war a, dass sie ganz massiv die Alten- und Pflegeheime getroffen hat, dass sie die älteste Bevölkerungsgruppe ganz massiv getroffen hat. Immerhin in diesem Bereich ist ja mittlerweile eine gewisse Impfquote vorhanden. Und wir sehen die Erfolge. Wir haben zwar kleinere Ausbrüche in Heimen, aber wir sehen, dass bei den Betroffenen dort teilweise überhaupt keine Symptome auftreten oder nur sehr leichte. Das ist ein großer Fortschritt und deshalb sollten wir sehen: Die dritte Welle wird ein Problem werden, aber wenn die älteste Altersgruppe besonders geschützt ist, dann wird uns die Welle ganz anders treffen, selbst wenn die Inzidenzzahlen wieder hochgehen werden.
Mir blutet das Herz, wenn ich nach Großbritannien und nach Israel schaue hinsichtlich der Impfquote dort. Da muss in Europa so gut es geht nachgearbeitet werden. Es wird jetzt über den Impfpass diskutiert. Ich glaube, es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass man wenn man geimpft ist ohne Testpflicht in andere Länder reisen kann, das sollte geregelt werden. Man diskutiert mittlerweile den Impfpass ja auch für den Alltag, so wie Israel das beispielsweise handhabt. Auch da muss man sagen: Wenn nachweisbar ist, dass man andere Menschen nicht mehr anstecken kann, dann kann man einem die Grundrechte nicht nehmen. Ich sage aber auch, dass das nicht so einfach zu regeln sein wird. Es muss daher alles dafür getan werden, dass wir deutlich schneller impfen können als bisher. Die Infrastruktur für das Impfen ist vorhanden, aber es fehlt das Material. Beim Testen ist es eher andersherum und auch da sollten wir jetzt nacharbeiten. Deutschland sollte kurzfristig die Teststrategie erheblich ausweiten, um mehr Bereiche vorsichtig zu öffnen, wie z.B. in Österreich. Wir sollten deutlich mehr Schnelltests nutzen und auch Selbsttests. Das wird im Alltag der Menschen sehr viel ändern. Nicht nur bei Kitas und Schulen ist das wichtig, sondern auch in anderen Lebensbereichen. Auch da fand ich es unglücklich, dass Jens Spahn einen Aufschlag gemacht hat, dass kostenlose Schnelltests zum 1. März kommen sollen, das hat bei den Menschen sehr viel Hoffnung geweckt, aber dass das wenige Tage später wieder abgeräumt wird, ist mal wieder ein verheerendes Signal aus Berlin gewesen. Das hat wieder dazu beigetragen, dass Vertrauen verlorengegangen ist. Das ärgert mich, weil es uns alle trifft. Wir haben mit dem Vorbereiten einer weiteren Teststrategie eine Mammutaufgabe vor uns, das wird nicht einfach werden, ist aber notwendig.
Die Inzidenz von 35, die bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz für nennenswerte Öffnungen vorgegeben wurde, erscheint mir derzeit fast unerreichbar. Ich halte dieses Ziel auch für wirklich sehr ambitioniert in dieser Jahreszeit. Die MPK wird sich da aus meiner Sicht am Mittwoch korrigieren müssen. Impffortschritt und andere Faktoren müssen stärker berücksichtigt werden. Im Zweifel muss man das Infektionsschutzgesetz auch anpassen an die Entwicklung. Das Gesetz ist jetzt mehrere Monate alt, wir hatten im Herbst eine völlig andere Lage gehabt, als wir sie jetzt im Frühjahr haben werden. Deshalb glaube ich, müssen wir auch die rechtliche Grundlage anpassen. Das man immer die 50 ausgerufen hat und bei der letzten MPK plötzlich die 35 – mit Blick auf die britische Variante kann ich die Vorsicht zwar verstehen – war ein verheerendes Signal, weil sich die Menschen ein Stückweit veräppelt gefühlt haben. Das muss jetzt korrigiert werden. Der Ministerpräsident hat ja transparent gemacht, wie das hier bei uns in Jamaika diskutiert wurde im Nachgang zur letzten MPK, die Beschreibung war durchaus zutreffend – wir waren nicht so begeistert, wie andere Teilnehmer der MPK – aber jetzt müssen wir nach vorne schauen. Am Montag wird es in Schleswig-Holstein mehrere Öffnungen geben, z.B. Frisöre, Sportanlagen, Zoos oder Gartencenter. Aus meiner Sicht ist der wichtigste Punkt: Wir werden grundsätzlich Kinder bis 14 Jahre bei den Kontaktregeln ausnehmen, denn das ist ein entscheidendes Kriterium für das Leben vieler Familien. Es braucht aber endlich einen bundesweiten Plan für die kommenden Wochen. Zum Glück gibt es mittlerweile auch verschiedene Studien zu den Risiken in den verschiedenen Bereichen. Das ist sehr hilfreich als Entscheidungsgrundlage. Besonders bemerkenswert finde ich die jüngste RKI-Studie.
Auch die Expertenanhörung vergangene Woche im Plenum fand ich enorm wichtig. Denn die Menschen müssen wissen, was eigentlich die Wissenschaftler sagen und es muss ein Diskurs mit den Wissenschaftlern stattfinden. Transparente Diskussionen sind wichtig, denn es gibt nicht die Wissenschaft. Viele der Experten haben Dinge sehr unterschiedlich gesehen und eingeordnete und deswegen geht es darum, eine Abwägung vorzunehmen und dafür muss man sich die verschiedenen Fachbereiche anhören. Worum sollten wir uns jetzt besonders kümmern: Der wichtigste Punkt bleiben die Familien. Da geht es nicht nur um Kitas und Schulen, bei letzteren um Wechselunterricht in mehr Klassenstufen, sondern auch um den Alltag von Kindern und Jugendlichen, denn deren Entwicklung hat in den letzten Monaten besonders stark gelitten und darum müssen wir uns kümmern. Da geht es vor allem um die Kontaktregeln. Ich bin der Meinung, dass wir schnellstmöglich zur Regelung fünf Personen aus zwei Haushalten, das Risiko ist wirklich sehr überschaubar. Diese Ein-Personen-Regelung ist sehr drastisch, denn sie dient ja dazu, dass man sich am besten gar nicht trifft, aber es macht Sinn, dass man lebensnahe Regelungen hat, die die Menschen einhalten, entsprechend sollten wir das ändern.
Wir müssen uns um den Einzelhandel kümmern und da wird es absehbar um Baumärkte gehen, aber auch darum, ob man in einigen Bereichen mit Terminen arbeiten kann. Und es muss eine Nachbesserung bei den Wirtschaftshilfen geben. Es ist zwar gut, einen Anteil an den Fixkosten zu übernehmen, aber die Menschen verlieren dadurch trotzdem jeden Monat Geld – sie verdienen kein Geld, sondern verlieren sogar noch jeden Monat Geld. Die Menschen müssen sich etwas zu essen kaufen können und deshalb müssen wir im Zweifel dort nochmal nachsteuern. Bei der Gastronomie muss es zunächst um den Außenbereich gehen und die Nutzung von Apps. Und ich meine da nicht die Corona-WarnApp, die sich aus meiner Sicht leider nicht bewährt hat, sondern Apps zur Kontaktnachverfolgung, damit diese einfacher wird und die Gesundheitsämter entlastet. Da gibt es mittlerweile gute Lösungen auf dem Markt. Der Markt regelt dann eben doch an vielen Stellen und dementsprechend sollten wir gute Ideen dann auch einsetzen. Wir sollten stärker unterscheiden zwischen drinnen und draußen. Das RKI hat ja ehr deutlich gesagt, dass die Innenräume das Problem sind. Beim Sport müssen wir mit den Kindern anfangen, aber auch im Bereich Kultur müssen wir mit kleineren Veranstaltungen, die draußen stattfinden, anfangen. Und wir brauchen wieder mehr regionale Differenzierung. Das ist im Infektionsschutzgesetz ausdrücklich so angelegt. Und wir müssen uns über den Tourismus unterhalten. Da wünsche ich mir eine enge norddeutsche Abstimmung, gerade mit Niedersachen und Mecklenburg-Vorpommern, mit den Hamburgern ist das momentan etwas schwierig, und ich finde, es sollte vor Ostern wieder losgehen. Sofern sich die Situation nicht weiter verschlechtert, sondern vielleicht sogar noch verbessert, müssen wir über den Binnenlandtourismus reden. Für Familien ist es wichtig, dass man im Zweifel eine Ferienwohnung an der Küste beziehen kann. Das ist für das Infektionsgeschehen kein großer Unterschied, ob man zu Hause ist oder an der Nordsee in der Ferienwohnung.
Mit Mecklenburg-Vorpommern müssen wir darüber sprechen, was eigentlich mit der Landesgrenze passiert. Mecklenburg-Vorpommern hat wieder und auch über einen sehr langen Zeitraum die Landesgrenze für Menschen aus anderen Bundesländern geschlossen. Es gibt zwar eine ganze Reihe an Ausnahmen, aber einkaufen auf der anderen Seite der Grenze geht beispielweise nicht mehr. Und dort sind höheren Inzidenzen als bei uns – das kann man ehrlich gesagt niemandem erklären.
Ich wünsche dem Ministerpräsidenten am kommenden Mittwoch eine konstruktive Sitzung. Wir werden das – wie immer – bei BILD.de verfolgen. Ich bin sehr froh darüber, dass Schleswig-Holstein vorangeht, auch wenn Herr Söder bereits am Montag die Baumärkte öffnet. Sollte es keine sinnvolle bundesweite Einigung geben, sind wir vorbereitet. Wir wollen verantwortbare, realistische und faire Perspektiven für die verschiedenen Bereiche des öffentlichen Lebens. Und da muss es eben nicht nur um Einschränkungen, sondern auch um weitere Fortschritt beim Management gehen.“
Es gilt das gesprochene Wort!