In seiner Rede zu TOP 47 (Bericht zu den Beschlüssen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten vom 6. Mai) erklärt der Vorsitzende der FDPLandtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Ich danke dem Ministerpräsidenten für seinen Bericht! Die letzten Wochen waren politisch oft nicht einfach, weil die Rücknahme des Lockdowns alles andere als einfach ist. Die Abwägungen werden schwieriger. Ich bleibe dabei: Die Landesregierung macht da – trotz der unerwarteten Turbulenzen der vergangenen Woche – einen wirklich guten Job! Wir brauchen einen klaren Fahrplan für die kommende Zeit und ich bin froh, dass wir diesen nun erarbeitet haben.
Wir treten nach den ersten Rücknahmen der drastischen Maßnahmen in den letzten Tagen und Wochen ja in der Tat in eine neue Phase ein. Man muss ja gelegentlich daran erinnern: Wir haben es mit einer – für viele Menschen – gefährlichen Krankheit zu tun. Wir haben dieses neuartige Virus mit großen Anstrengungen sehr erfolgreich unter Kontrolle gebracht. Jetzt müssen wir es in den nächsten Wochen und Monaten unter Kontrolle behalten und gleichzeitig die Grundrechtseingriffe schrittweise zurücknehmen und die gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Folgen bestmöglich minimieren.
Wir müssen unsere Lebensweise noch eine ganze Weile anpassen. Statt pauschaler Verbote werden die Maßnahmen nun gezielter. Hygiene, vor allem Abstand und die Reduzierung von unnötigen Kontakten bleiben enorm wichtig, weil dies ganz entscheidend dafür sein wird, dass wir erfolgreich bleiben. Es wird jetzt noch wichtiger werden, dass jeder Einzelne Verantwortungsbewusstsein zeigt, auch um andere zu schützen. Jeder Einzelne trägt Verantwortung für den Erfolg bei der Pandemiebekämpfung. Das Gesamtziel muss natürlich sein, dass wir schnellstmöglich zum eigentlichen Normalzustand zurückkehren können. Bis dahin ist es aber wohl leider noch ein weiter Weg.
Von einer ‚neuen Normalität‘ möchte ich ausdrücklich dennoch nicht sprechen. Es muss klar sein, dass alle Grundrechtseingriffe gut begründet bleiben müssen und so schnell wie möglich zurückgenommen werden, insofern dies verantwortbar ist. Unsere Freiheit ist ja schließlich kein Zugeständnis der Exekutive an die Bürgerinnen und Bürger, sondern uns allen durch unsere großartige Verfassung garantiert. Wie jede große Krise wird auch diese Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen. Wir müssen vor allem die Spaltung der Gesellschaft verhindern – und ich meine damit nicht nur die sozialen Verwerfungen, die problematisch genug sind, sondern auch den Umgang miteinander. Es gibt noch immer sehr viel Solidarität und Dankbarkeit, aber die zunächst sehr hohe Akzeptanz des Lockdowns bzw. der einzelnen Maßnahmen hat zunehmend abgenommen und die Meinungen gehen weit auseinander. Wir spüren es doch jeden Tag: Viele Menschen sind sehr ungeduldig, wollen wieder arbeiten können oder ihre Kinder betreut haben.
Andere Menschen dagegen haben Sorge vor der zu schnellen Rücknahme der Verbote. Hier immer die richtige Balance zu finden, ist sehr schwierig. Es nützt aber nichts. Und wir merken ja auch: Es kommt nicht nur auf die Maßnahmen selbst, sondern vor allem auf deren Kommunikation an. Wir brauchen meines Erachtens eher noch mehr Diskussionen über die Frage, was sinnvoll ist und was nicht, aber dies sollte respektvoll geschehen – und auch hier trägt jeder Einzelne Verantwortung.
Wir haben mit Ralf Stegner und Lars Harms, also der Opposition, einen Grundkonsens, der extrem entscheidend ist für das Vertrauen in der Bevölkerung. Allerdings ist der Austausch auch lebhafter geworden die letzten Tage und Wochen. Ich finde das auch gut so und man muss Ralf Stegner auch zugestehen, dass er SPD-geführte Bundesländer zum Teil härter kritisiert als die Regierung in Schleswig-Holstein. Aber wir haben uns auch über einige Äußerungen geärgert, die Sie heute aber nicht wiederholt haben. Die Kritik an den Sonntags-Öffnungen kann man natürlich vortragen, aber zu sagen, die Landesregierung habe damit eine neue Infektionswelle provoziert, da muss man schon aufpassen, dass man dem Gegenüber nicht Fahrlässigkeit vorwirft oder die Gefährdung von Menschen. Es ist völlig in Ordnung, gegen einzelne Entscheidungen zu sein. Ich bin der Meinung, die Sonntags-Öffnung war für eine gewisse Entzerrung der Kundenströme nicht schlecht. Man muss aber auch sehen, dass der Einzelhandel nach der Öffnung nicht in der Situation ist, dass die Menschen alle wieder shoppen gehen möchten, sondern sie sind noch sehr zurückhaltend. Es besteht daher nicht die Gefahr, dass sich die Innenstädte vor Menschen kaum retten können. Es ist wichtig, die Gewaltenteilung wieder vollständig so herzustellen, wie sie gedacht ist. Das ist im Parlament so, aber wir merken auch, dass die Gerichte insgesamt kritischer werden, weil sich die Situation verändert hat.
Dank dem erfolgreichen Krisenmanagement in Schleswig-Holstein und darüber hinaus können wir nun viele Bereiche wieder öffnen. Ich begrüße es sehr, dass es mittlerweile breiter Konsens ist, dass regionale Unterschiede wichtig und auch notwendig sind. Die bundesweite Abstimmung ist ebenso wichtig, kann aber immer nur eine Orientierung sein. Wir sprechen hier weitestgehend über die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Verfassungsorgan, sondern ein Abstimmungsgremium. Die Länder haben jetzt nicht die Zuständigkeit vom Bund übertragen bekommen, sie hatten sie schon immer und es gab auch immer unterschiedliche Maßnahmen. Es ist richtig, dass verstärkt regional entschieden wird und im Zweifel gezielt lokal eingegrenzt wird, wo Probleme auftauchen.
Was die Öffnung besonders schwierig macht, sind die mangelnden Erkenntnisse über das Virus, v.a. über die Verbreitung und die Auswirkungen der Krankheit, also auch über die Langzeitfolgen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch in Schleswig-Holstein eine regionale Studie machen werden mit dem UKSH und den Wissenschaftlern aus Borstel, und dass auch Obduktionen durchgeführt werden, damit man die gesundheitlichen Schäden besser bewerten kann. Das wichtigste Kriterium bleiben aber die medizinischen Kapazitäten. Wir haben in Schleswig-Holstein massiv Intensivkapazitäten aufgebaut. Das hat gut geklappt innerhalb kürzester Zeit. Aber wir haben jetzt immer mehr Clusterinfektionen, v.a. die Pflegeheime sind davon betroffen. Ich finde es trotzdem richtig, dass wir dort eine sensible Besuchsregelung getroffen haben, denn die Einsamkeit der älteren Menschen ist ein großes Problem. Nichtsdestotrotz bleibt es eine schwierige Frage, wie wir es schaffen können, die Menschen in Pflegeheimen vor dem Virus und gleichzeitig vor Vereinsamung zu schützen. Eine Antwort darauf zu finden ist sehr schwierig, aber auch sehr wichtig. Das Management in den Gesundheitsämtern wird weiter verbessert, es gibt neue Testverfahren, die sinnvoll ausgeweitet werden müssen. Die Rückverfolgung bleibt ein Riesenthema, deshalb würde ich mich freuen, wenn die App endlich auf den Weg gebracht wird, und zwar sicher, anonym und am besten europäisch. Und auch die Materialbeschaffung, gerade für die sensiblen Bereiche, bleibt eine Herausforderung, wobei wir dort auch Fortschritte machen.
Wichtig bleibt die Rücksicht auf vorerkrankte und ältere Menschen und besonders wichtig sind auch die Familien und Kinder. Es gibt eine hohe Belastung vieler Familien. Der Kontakt zu anderen Kindern ist enorm wichtig. Wir haben in der Vergangenheit auch immer darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, möglichst den Kontakt zu den Großeltern zu vermeiden, die deshalb nicht bei der Betreuung einspringen konnten, was im Alltag sonst in vielen Familien der Fall gewesen wäre. Für die Entwicklung der Kinder sind diese Kontaktbeschränkungen natürlich problematisch. Deshalb ist es gut, dass wir auch an dieser Stelle einen sinnvollen Stufenplan für die Kitas haben, nach dem ab dem 18. Mai weitere Schritte unternommen werden, wie beispielsweise die Ausweitung der kritischen Infrastruktur. Und ab dem 1. Juni haben dann alle Kinder einen Anspruch auf Betreuung, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass diese eben in Kohorten stattfinden wird, also nicht alle Kinder gleichzeitig kommen dürfen, sondern es zeitliche Beschränkungen geben wird.
Für die Schulen gilt Ähnliches, das wird ebenfalls schrittweise passieren müssen. Beim digitalen Lernen ist in den letzten Wochen notgedrungen viel passiert, ich hätte mir das schon vor vielen Jahren gewünscht, aber es muss eben auch flächendeckend passieren. Ich stelle fest, dass es enorme Unterschiede gibt, je nachdem wie die Schule aufgestellt ist, wie die Lehrer aufgestellt sind, es muss mehr Geräte geben, damit wir dort auch Chancengerechtigkeit haben, es muss mehr Weiterbildung und Fortbildung geben, aber es gibt Fortschritte und wir werden alles dafür tun, damit das digitale Lernen besser funktioniert. Wir werden auch klare Perspektiven für die Hochschulen schaffen, die Mensen und Bibliotheken werden ab 18. Mai geöffnet, kleinere Präsenzveranstaltungen werden möglich.
Ganz wichtig für unsere Wirtschaft ist der Tourismus. Auch hier ist der 18. Mai ein klarer Termin, der wichtig ist zur Vorbereitung u.a. in den Hotels. Es wird aber weiterhin erheblich Einschränkungen geben. Und wir werden vor allem das Thema Menschenansammlungen haben, deswegen ist es wichtig, dass wir den Tagestourismus ermöglichen, aber lokal begrenzen, also dort wo massive Menschenansammlungen zu erwarten sein könnten, beispielsweise in den Bäderorten. Wir kümmern uns um die Hotspots, weg von pauschalen Verboten, hin zu zielgerichteten Maßnahmen. Auch die Gastronomie ist extrem wichtig, aber dort wird es wie beim Einzelhandel nicht sofort losgehen, es wird weiterhin eine wirtschaftliche Herausforderung bleiben, v.a. für kleine Betriebe. Wir werde das genau beobachten, wie es mit den Existenzen in der Gastronomie weitergeht, ich fürchte, es wird für viele Betriebe sehr schwierig bleiben.
Die Entscheidungen zur Bundesliga haben die Wellen sehr hoch schlagen lassen. Auch als Fußballfan verstehe ich den Unmut vieler Menschen an dieser Stelle, die damit argumentieren, das sei eine Ungleichbehandlung. Für viele Menschen ist das Fußballerlebnis am Fernseher aber wichtig. Ich verstehe auch, dass es mit den Fernsehgeldern um die Existenzen der Vereine geht und man darf nicht vergessen: Die Vereine sind große Arbeitgeber. Viele Menschen leben davon, dass Sportereignisse stattfinden. Ich meine damit nicht in erster Linie die Fußballprofis, sondern die vielen anderen Mitarbeiter.
Es gab viele Diskussionen über das Thema Kirchen, die Religionsausübung ist ein wichtiges Grundrecht. Es hat für Unmut gesorgt, dass Trauerfeiern und Beerdigungen nur begrenzt stattfinden können, aber auch dort haben wir eine vernünftige Lösung gefunden. Die Veranstaltungen im Kulturbereich bleiben schwierig, aber auch dort gibt es erste Perspektiven. Eine Ausnahme gab es schon, weil sie kontaktlos ist: Heute startet in meinem Wahlkreis die erste Vorstellung des Autokinos. Wir werden aber auch für Kinobetriebe, Theater usw. Perspektiven brauchen und erste Punkte dazu haben wir gestern beschlossen.
Herr Stegner hat von uns gefordert, dass wir ein neues Regierungsprogramm vorlegen sollen. Ich fand das sehr interessant und habe mir seine Forderungen angeschaut: Herr Stegner fordert von uns mehr SPD-Politik, was an sich nicht so überraschend ist. Ich will aber sagen: Ich finde unser Programm nach wie vor richtig gut, wir werden uns aber genau anschauen müssen, dass wir weiterhin in Zukunftsthemen investieren. Also beispielsweise in die Bereiche Weiterbildung, Digitalisierung, nicht nur in Schulen, sondern in nahezu allen Bereichen. Wir müssen uns über die finanzielle Stabilität kümmern, denn die Schulden, die wir jetzt aufnehmen, werden wir zurückzahlen müssen. Und wir müssen die Wirtschaft stärken. Wir müssen darauf achten, dass wir für alle Branchen und alle Betriebsgrößen vernünftige Rahmenbedingungen schaffen. Die Autoindustrie ist enorm wichtig, auch für Schleswig-Holstein. Aber dass jetzt schon wieder über eine Abwrackprämie gesprochen wird, halte ich für Nonsens. Das ist einfach nur Wettbewerbsverzerrung und nichts anderes. Wir brauchen in dieser Phase auch keine Diskussionen über Steuererhöhungen. Dass der Bundeswirtschaftsminister diese nicht ausschließt, halte ich für Gift für die Konjunktur der nächsten Monate.
Wir haben in der Diskussion die Forderung nach dem starken Staat und mehr Verstaatlichungen. Das sind Abgesänge auf die Marktwirtschaft. Ich glaube, dass genau das Gegenteil notwendig sein wird, wenn wir wieder stärker werden wollen. Jede und jeder sagt jetzt das voraus bzw. fordert das, was sie oder er schon immer gefordert hat. Wir sehen übrigens auch, wie leistungsfähig unser Gesundheitssystem ist und wie gut unsere Verwaltungen funktionieren.
Politisch fast die größten Sorgen macht es mir, wie es mit Europa weitergeht. Dort haben wir auch als Bundesland Schleswig-Holstein eine Verantwortung. Das Machtgefüge auf der Welt scheint sich nochmal zu verschieben, v.a. zwischen China und den USA. Es ist nicht nur für unsere Exporte extrem wichtig, sondern auch für die Zusammengehörigkeit und das Leben der Menschen auf unserem Kontinent, dass wir Europa zusammenhalten. Der französische Präsident Macron hat sich ja bei uns bedankt für die Versorgung von französischen Patienten; ich finde, wir sollten unsere Nachbarn weiterhin unterstützen, solange wir Kapazitäten haben. Das ist ein wichtiger Beitrag für Europa. Ich bin nicht für Eurobonds, aber ich finde, wir müssen richtige Signale setzen, auch im Hinblick auf die wirtschafts- und finanzpolitische Stabilität der EU. Trotzdem sind in Italien viele dabei, die sich momentan eher an Putin orientieren als an der Demokratie. Auch von diesen Menschen sollten wir uns Europa nicht kaputtmachen lassen.
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, wir haben gute Schritte vereinbart für die kommenden Wochen. Bleiben wir verantwortungsvoll, dann kriegen wir unsere Freiheit auch schnellstmöglich zurück.“