In seiner Rede zu TOP 17+22+30+34+37+44+50 (europapolitische Debatte) erklärt der europapolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Dr. Heiner Garg:
„Zwischen dem 6. und dem 9. Juni findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Neben der Bundesrepublik sind auch in Belgien, in Österreich und auf Malta das erste Mal junge Menschen ab 16 Jahren wahlberechtigt, in Griechenland sind es immerhin die jungen Menschen ab 17 Jahren.
Über 400 Millionen Europäerinnen und Europäer bestimmen über die Zusammensetzung des neuen Europaparlamentes. Und jeder, der in einer Grenzregion aufgewachsen und schon etwas älter ist und miterleben durfte, wie Grenzanlagen fielen und Kontrollhäuschen weggeräumt worden sind, der weiß, dass Europa viel mehr ist, als frei zu reisen und dabei in vielen Ländern der EU mit ein und derselben Währung zu bezahlen.
Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen wir mit drei oder vier Währungen von Deutschland über die Schweiz durch Frankreich in unseren Spanienurlaub gefahren sind. Dafür braucht es heute zumindest nur noch zwei Währungen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Europa ist viel mehr als Euro, als Reisefreiheit, als gemeinsames Lernen, als grenzüberschreitendes Studieren und Arbeiten.
Europa ist das größte Friedensprojekt dieses Kontinents – und das seit sieben Jahrzehnten.
Diese Wahl ist in der Tat eine richtungsentscheidende Wahl. Sie bestimmt, wie wir in Zukunft in den 27 Mitgliedstaaten leben werden und leben wollen.
Ob weiterhin in Frieden, Freiheit und Sicherheit oder ob wir Extremisten von links und von rechts das Feld überlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man durch Schleswig-Holstein fährt, dann ist wieder das meiste bunt. Manche plakatieren auch in schwarz, weiß, grau. Aber viele Plakate sind bunt.
Doch mich hat ein Plakat nicht nur geärgert, sondern es hat mich schockiert. Und das ist ein Wahlplakat einer Partei, die neu gegründet wurde, mit einer Persönlichkeit, die fast jeder kennt inzwischen, die auf einem Ego-Trip ist. Die Partei heißt auch so wie sie.
Auf dem Plakat, das ich ansprechen will, steht: Krieg oder Frieden.
Was für eine Anmaßung, was für eine Kampagne vor dem Hintergrund der größten geopolitischen Herausforderung, vor der Europa und die Europäerinnen und Europäer seit sieben Jahrzehnten stehen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es nicht für ,intellektuell interessant', sich mit Sarah Wagenknecht auseinanderzusetzen. Ich halte diese Frau für brandgefährlich.
Aber manchmal ist es sogar besser, andere für sich sprechen zu lassen, die nicht das Glück haben, Teil dieser 27 Mitgliedstaaten zu sein. Mich hat das Interview, das die georgische Präsidentin Salome Surabischwili am Wochenende gegeben hat, zutiefst beeindruckt. Und zwar unter der Überschrift: ,Die einzige Kriegsgefahr droht, wenn man uns allein mit Russland lässt'. Ich möchte gerne aus diesem Interview zitieren.
,Von außen wirkt das alles wie ein Déjà-vu. Was in Georgien passiert, erinnert an die Demonstrationen auf dem Maidan. Droht Georgien dasselbe Schicksal wie der Ukraine?‘ Auf diese Frage antwortet die Präsidentin, übrigens die Präsidentin, die gerade mutig ihr Veto gegen das Agentengesetz nach russischem Vorbild eingelegt hat: ,Ich höre die ganze Zeit diesen Vergleich und dass die Ereignisse vom Maidan-Platz verantwortlich für den Überfall der russischen Armee waren. Nein! Eine russische Intervention kann überall stattfinden. Ich empfehle den Europäern, sich klarzumachen, dass es nicht immer nur die anderen trifft. Was in Georgien passiert, ist keine Wiederholung des Maidan. Wir hatten mehrere Maidans, unter jeweils unterschiedlichen Umständen. Außerdem ist Georgien ganz ohne Maidan überfallen worden, einfach weil Russland beschlossen hat, bei seinem Nachbarn einzufallen. Es besetzt heute 20 Prozent unseres Landes, und dennoch hat das die Entscheidung der Georgier für Europa nicht um einen Millimeter verändert.‘
So spricht jemand, der sich wünscht, der ruft, der appelliert, Mitglied der Europäischen Union zu werden, Mitglied der Staatengemeinschaft, weil sie nicht 70 Jahre in Frieden mit ihren Nachbarn leben können, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Es ist eine ganze Anzahl von Anträgen zu dieser Plenardebatte eingegangen, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen. So auch der Antrag der Freien Demokraten.
Ich will nur einen einzigen Punkt herausgreifen, warum uns das wichtig ist. Man könnte ja sagen, diese ständige Wiederholung vom Bürokratieabbau, wer eine neue Verordnung auf den Weg bringen will, muss mindestens zwei streichen – das hat man schon alles zehnmal gehört.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, vielleicht hat man schon zehnmal gehört, aber dann muss man sich noch zehnmal anhören, bis es passiert. Denn Europa muss für diejenigen, also für die über 400 Millionen Menschen, die das Glück haben, die Segnungen dieser Europäischen Union jeden Tag in ihrem Alltag erleben dürfen, muss wieder erlebbarer werden.
Und ich will mit etwas, oder ich will ein Beispiel nennen, das unser Spitzenkandidat aus dem Wahlkampf mitgebracht hat. Und zwar interessiert sich ein schleswig-holsteinischer mittelständischer Betrieb, eine Glaserei, für Aufträge aus Dänemark.
Müsste ja eigentlich einfach sein, wir leben ja schließlich in der Europäischen Union. Als er dann allerdings Kenntnis über die Unterlagen, die er für ein grenzüberschreitendes Geschäft mit Dänemark erbringen muss und zwar zusätzlich zu der berühmten, auch immer wieder kritisierten A1-Bescheinigung, und von den Grenzkontrollen, die bedauerlicherweise immer noch stattfinden, wollen wir gar nicht reden, als er davon Wind bekommen hat bzw. sich damit auseinandergesetzt hat, ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass er sich dann rund 30 Prozent seiner Arbeitszeit mit Bürokratie auseinandersetzen muss. Daher hat er davon Abstand genommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, da muss nachgebessert werden. Und es ist Aufgabe der Politik, hier nachzubessern. Und genauso ist es Aufgabe der Politik immer wieder beliebten Klischees und Vorurteilen über die Europäische Union und auch die Arbeitsweise ihrer Institutionen entgegenzutreten.
Da heißt es beispielsweise, dass die EU bis ins Kleinste das Rezept für die Pizza Napolitana vorschreibe. Nein, meine Damen und Herren, das schreibt die EU nicht vor.
Sie schreibt auch nicht vor, wie und aus welchen Bestandteilen echtes Lübecker Marzipan zu bestehen hat. Nein, tut sie auch nicht.
Was die EU ermöglicht und womit sie sich beschäftigen muss, ist, wenn eine Vereinigung von Herstellern einer bestimmten Region das Produkt, das in dieser bestimmten Region, also zum Beispiel das eben angesprochene Lübecker Marzipan, geschützt werden soll, damit eben das Lübecker Marzipan nicht einfach in Lissabon hergestellt werden darf. Also, Sie können Marzipan herstellen, aber es darf halt nicht Lübecker Marzipan heißen, sondern Lissabonner Marzipan, meine Damen und Herren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Vorurteil hält sich hartnäckig und es ist unsere Aufgabe, in einem solchen Wahlkampf das auch klar und deutlich zu benennen.
Lassen Sie mich schließen, ebenfalls noch einmal mit der georgischen Präsidentin. Wir haben alle interfraktionell einen Wahlaufruf zur Europawahl verfasst und stehen alle dahinter. Auf die Frage ,80 Prozent der Bevölkerung Georgiens gelten als proeuropäisch. Sie sind zuversichtlich, aber besteht die Gefahr, dass die Pro-Europäer die Wahl verlieren?‘ antwortet die Präsidentin: ,Ich bin so zuversichtlich, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Es stehen politische Entscheidungen an, aber in einem Land wie dem unsrigen, von dem 20 Prozent besetzt sind, das alle mögliche Formen der russischen Besatzung erlitten und Russland erlebt hat, wie es die georgische Sprache verboten hat, wie es die Fresken in unseren Kirchen übermalt und unsere Kirche zerstört hat, wie es die georgische Kirche während des russischen Reiches lange verboten hat, in diesem Land besteht keine andere Wahl als die europäische.‘
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben die Wahl – und deswegen bitte ich und appelliere an die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner ab 16 Jahren: nutzen Sie, nutzt dieses Wahlrecht, wählen Sie, wählt Ihr, demokratische Parteien, damit wir dieses Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand weiterentwickeln können."
Sperrfrist Redebeginn!
Es gilt das gesprochene Wort.