In seiner Rede zu TOP 2+4 (Gesetze zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein und zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften) erklärt der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Jan Marcus Rossa:
„Zu Beginn meiner heutigen Rede möchte ich all denjenigen danken, die an der Ausarbeitung der Verfassungsänderung, die wir heute beschließen wollen, in den letzten Wochen mitgewirkt haben. In einem unheimlich intensiven Arbeitsprozess ist es uns gelungen, eine Verfassungsregelung zu erarbeiten, der man anmerkt, dass wir aus Fehlern der Vergangenheit gelernt haben, dass wir uns nicht von dem Handlungsdruck, unter dem wir wegen der Pandemie gestanden haben, auf Kosten der Qualität haben treiben lassen.
Ich möchte ausdrücklich meinen Kolleginnen und Kollegen von CDU, SPD, Grünen und dem SSW danken, dass wir uns sehr schnell auf die Regelungsziele verständigen konnten, die dann in dem ersten Entwurf der Verfassungsänderung niedergeschrieben wurden. Wir waren uns alle einig, dass wir einen solchen ersten Entwurf brauchten, um schnell in das parlamentarische Verfahren einzutreten, um dann auch den rechtlich fragwürdigen Zustand zu beenden, die Beschlussfähigkeit des Parlaments über unsere Geschäftsordnung herzustellen. Wir hatten uns daher in die Hand versprochen, dass wir über Änderungen dieses ersten Aufschlags ergebnisoffen diskutieren wollten. Mit diesem gemeinsamen Verständnis haben wir dann die Expertenanhörung durchgeführt und auch ihnen gilt mein heutiger Dank. Sie haben auf eine Reihe von Punkten aufmerksam gemacht, die uns dabei halfen, unseren ersten Entwurf deutlich zu verbessern. Diese Hinweise betrafen insbesondere den Schutz der Abgeordnetenrechte, in die ein Notausschuss eingreifen wird, wenn er als Notparlament an die Stelle des Landtags treten wird.
Die Ergebnisse der Anhörung waren Grundlage für den weiteren Arbeitsprozess und das Ergebnis kann sich meines Erachtens sehen lassen. Herausgekommen ist die bundesweit einzigartige und erstmalige Zulassung hybrider Parlamentssitzungen und hybrider Beschlussfassungen. Uns ist durchaus bewusst, dass wir jetzt zügig die technischen Voraussetzungen für hybride Sitzungen schaffen müssen. Aber ich glaube, dass das realisierbar ist. Eine weitere Errungenschaft dieser Arbeit ist, dass wir uns für eine ‚atmende' Ausschussgröße entschieden haben. Dem Ausschuss müssen mindestens elf Abgeordnete angehören. Die Mitgliederzahl ist aber zu erhöhen, wenn weitere Abgeordnete zur Verfügung stehen und die Mehrheitsverhältnisse durch ihren Eintritt in den Ausschuss nicht verschoben werden. Eine auf den ersten Blick etwas schwergängige Regelung. Sie ist aber wichtig, um einerseits den Eingriff in die Abgeordnetenrechte möglichst gering zu halten und andererseits Minderheitenrechte zu wahren, insbesondere von fraktionslosen Abgeordneten. Zum Schutz der Abgeordnetenrechte gehört aber auch, dass alle Abgeordneten bei einem Zusammentritt des Notausschusses ihre Teilnahme-, Rede- und Antragsrechte behalten und nur das Stimmrecht suspendiert ist, wenn sie nicht ‚ordentliches‘ Mitglied des Notausschusses sind.
Für mich persönlich war von Anfang an wichtig, dass wir Regelungen implementieren, die die Eingriffe in die Rechte der einzelnen Abgeordneten nur in extremen Ausnahmefällen zulassen. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, dass Notrechte immer die Gefahr des Missbrauchs in sich tragen. Und deshalb war für mich eine der zentralen Forderungen bei dieser Verfassungsänderung, dass wir einen effektiven Rechtsschutz zugunsten der Abgeordneten gestalten. Am Anfang diskutierten wir über einen Richtervorbehalt. Dieser Lösungsansatz traf nicht überall auf Gegenliebe. Die Argumente gegen einen solchen Richtervorbehalt, das möchte ich an dieser Stelle auch sehr deutlich sagen, waren zum Teil eher bizarr. Man gewann den Eindruck, dass ein Teil dieser Gegenstimmen es als Makel empfanden, erst das Verfassungsgericht fragen zu müssen, ob man als Notausschuss zusammentreten und Beschlüsse fassen dürfte. Hier wurde mit einer Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips argumentiert. Mit Verlaub: Da hat offenbar jemand dieses Prinzip nicht verstanden. Es ist schließlich die Aufgabe der Rechtsprechung, das Handeln anderer Verfassungsorgane zu überprüfen und auch ggf. zu korrigieren. Dieses Argument konnte nicht überzeugen. Daneben machte unser Verfassungsgericht darauf aufmerksam, dass man sich mit einem Richtervorbehalt nicht wohl fühle und dass ein solches Instrument eher ein Fremdkörper wäre. Auch das vermochte nicht wirklich zu überzeugen, denn die angesprochenen Probleme, dass bei einem Richtervorbehalt irreversible Entscheidungen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergehen könnten, ließen sich auch bei einem einstweiligen Anordnungsverfahren nicht vermeiden.
Bei dieser Frage ließen uns die Experten in einer zunächst etwas ratlosen Lage zurück. Dank des gemeinsamen Lösungswillens und dank der Unterstützung des Wissenschaftlichen Dienstes, was ich hier ausdrücklich hervorheben will, haben wir jetzt eine Lösung gefunden, die den verfahrensrechtlichen Bedenken Rechnung trägt und trotzdem einen wirklich effektiven Rechtsschutz gewährleistet. Mit der jetzt vorgeschlagenen Regelung ist jeder Abgeordnete in der Lage, die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung des sogenannten Notausschusses vor dem Wirksamwerden der Beschlüsse vom Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Es bedarf nur eines schlichten Antrags ohne weitere Begründung. Anschließend muss der Landtag durch den Landtagspräsidenten das Vorliegen der Voraussetzungen für das Zusammentreten des Notausschusses darlegen und glaubhaft machen, also an Eides statt versichern. Erst danach muss ein Abgeordneter selbst zur Sache vortragen. Das reicht, um sicherzustellen, dass sich ein Notausschuss nicht verselbständigen kann.
Diese Überlegungen sind auch der Grund dafür, dass Beschlüsse des Notausschusses nicht unbefristet gelten werden, sondern automatisch ihre Wirkung verlieren, wenn sie in der ersten regulären Sitzung des Landtags nach der Beschlussfassung durch den Notausschuss vom Parlament nicht ausdrücklich bestätigt werden. Auch dies sichert die Rechte der Abgeordneten und gewährleistet die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze. Ich glaube, dass nur mit solchen Schutzmechanismen Notstandsregeln in Verfassungen Akzeptanz finden werden. Daran fehlte es Ende der 60er Jahre und wir sollten Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.“
Es gilt das gesprochene Woche!