Innen/Wahlrecht

Oliver Kumbartzky: Teile der vorgeschlagenen Änderungen schaffen zusätzliche Bürokratie

„Grundsätzlich begrüßen möchte ich zunächst den Gesetzentwurf der Piraten (Drucksache 18/3559). Dass Einwohnern amtsangehöriger Gemeinden die Möglichkeit von Bürgerentscheiden verwehrt ist, wo die Gemeinden Aufgaben auf das Amt übertragen haben, ist nicht begründbar. Hier liegen eine offensichtliche Regelungslücke und damit auch ein sachlich begründeter Handlungsbedarf vor. 

 

Die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns erschließt sich bei den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen kommunalrechtlicher Vorschriften (Drucksache 18/3500) hingegen nicht. Da Artikel 6 Absatz 2 unserer Landesverfassung die dänische und friesische Minderheit sowie die Minderheit der Sinti und Roma bereits unter den Schutz der Gemeinden und Gemeindeverbände stellt, erhalten die Änderungen hier keinerlei Mehrwert, so dass Sinn und Zweck des Vorhabens nicht wirklich schlüssig ist.

 

Genauso verhält es sich bei der Einführung einer Berichtspflicht auf kommunaler Ebene: Auch wenn im Vergleich zum ersten Anlauf nunmehr nur noch eine Berichtspflicht für Kommunen kommen soll, in denen die Minderheiten auch traditionell heimisch sind, wird hier mal wieder ohne den Nachweis der Erforderlichkeit mehr Bürokratie geschaffen. Es ist ja richtig, dass bei der einfachgesetzlichen Konkretisierung von Artikel 6 der Landesverfassung ein weiter Gestaltungsspielraum besteht. Gleichwohl sollten Regelungen des Gesetzgebers auch hier nur erlassen werden, wenn es nicht nur um Symbolpolitik geht, sondern es wirklich notwendig ist. Es liegt nicht unbedingt auf der Hand, warum ausgerechnet für dieses Staatsziel eine Berichtspflicht eingeführt wird, während zahlreiche andere Staatsziele hiervon ausgenommen sind. 

 

Es ist im Zuge der Ausschussberatungen deshalb seitens der Regierungsfraktionen der Nachweis zu führen, wo denn die Mängel im bestehenden System liegen, die einen Gesetzentwurf in der vorliegenden Form erforderlich erscheinen lassen.

 

Eingehen möchte ich in meiner Rede aber vor allem auf ein Thema, dass auch uns besonders wichtig ist: Das Wahlrecht für betreute Menschen.

 

Es ist zunächst einmal vollkommen richtig, dass wir uns hiermit befassen müssen. Die Möglichkeit zur Partizipation durch Wahlen ist in der repräsentativen Demokratie fundamental. Das Wahlrecht ist eines der wichtigsten verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Bürgerinnen und Bürger – und zwar aller Bürgerinnen und Bürger.

 

Auch wenn unser Recht Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderung, jedenfalls ausdrücklich, nicht kennt – weder das Bundeswahlgesetz, noch § 7 des Landeswahlgesetzes knüpfen an das Vorliegen einer Behinderung an – sollten wir gemeinsam versuchen, das Wahlrecht  inklusiver zu gestalten.

 

Auch aus unserer Sicht sollte deshalb darüber nachgedacht werden, ob der Ausschluss nach § 7 Nr. 2 Landeswahlgesetz noch zeitgemäß ist.

 

Fraglich ist allerdings, ob dafür einfach eine Streichung der Vorschrift das adäquate Mittel wäre. Denn so würde das Wahlrecht auch Personen eingeräumt, die zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung in keinem Bereich mehr fähig sind. Der hier in Rede stehende Wahlrechtsausschluss weist neben möglicher Diskriminierungsaspekte aber auch einen Schutzaspekt auf: Die Wahl bewirkt nämlich nicht nur die Legitimation von Herrschaftsausübung, sondern gewährleistet auch die Vermeidung von Fremdbestimmung. Genau das soll auch § 7 Nr. 2 sicherstellen, der die Teilnahme an der Wahl ausschließt, weil hier eben eine Missbrauchsgefahr besteht.

 

Diskussionswürdig wäre es dementsprechend auch, die Ausschlusstatbestände zu verfeinern oder festzulegen, dass in bestimmten Fällen konkret überprüft wird, ob der Einzelne in der Lage ist, eine Wahlentscheidung zu treffen, wobei diese Entscheidung von einem Richter, der ja schließlich auch den Umfang der Betreuung zu klären hat, zu treffen wäre. So könnte grundsätzlich auch jede Person, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer bestellt ist, wählen. Nur, falls dies explizit anders angeordnet würde, würde das Wahlrecht entfallen.

 

Das größte Problem bei der Beurteilung dieser verschiedenen Reformoptionen ist, dass vieles im Tatsächlichen noch unklar ist. Es gibt derzeit keine belastbaren Erkenntnisse über die von den Wahlrechtsausschlüssen betroffenen Gruppen. Um zu erfahren, welche Personenkreise in welchem Ausmaß betroffen sind, hat das – im übrigen sozialdemokratisch geführte – Bundesarbeitsministerium eine entsprechende Änderung des Bundeswahlgesetzes deshalb zurückgestellt und eine ausführliche Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse Anfang 2016 erwartet werden.

 

Angesichts der wenigen belastbaren Fakten ist die Forderung der Regierungsfraktionen, § 7 Nr. 2 gänzlich zu streichen, jedenfalls heute nicht ausreichend hinterlegt. In diesem konkreten Fall sollten wir daher die rechtstatsächlichen Erhebungen abwarten. 

 

Im Übrigen freue ich mich auf konstruktive Ausschussberatungen.“