KIEL Die Landtagsfraktionen von FDP und SSW werden gemeinsam ein abstraktes Normenkontrollverfahren gegen das Gesetz zur Änderung der kommunalrechtlichen Vorschriften beim Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein einleiten.
Die Klage richtet sich gegen folgende Punkte des Gesetzes:
1. Hochsetzung der Fraktionsgrenze
Für die Bildung einer Fraktion in einer großen Kommunalvertretung bedarf es nach dem neuen Gesetz mindestens drei statt wie bisher zwei Mitglieder. Insbesondere die landeseinheitliche Regelung bei der Mindestfraktionsgrenze ist aus Sicht der Kläger unzulässig. Rechnerisch sind nach dem neuen Gesetz neun Prozent der Wählerstimmen notwendig, um Mitglieder einer Fraktion zu wählen. Damit legt das Gesetz von Schwarz-Grün eine deutlich höhere Hürde für die politische Mitwirkung fest als die Fünf-Prozent-Hürde, die vor 2008 bei Kommunalwahlen galt. Die Kläger sehen hier den Minderheitenschutz als nicht gewahrt an. Gleichzeitig wird der Grundsatz verletzt, dass jede Stimme die Wirkungsmöglichkeiten in den kommunalen Vertretungen in gleicher Weise beeinflussen muss. Das Gesetz rüttelt somit an den Grundfesten der Erfolgswertgleichheit von Wählerstimmen. Gegen die Hochsetzung der Fraktionsgrenze soll ein Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt werden. Damit soll die Anhebung der Mindestfraktionsgrenze ausgesetzt werden, bis das Landesverfassungsgericht in der Hauptsache entschieden hat.
2. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide
Das Gesetz ermächtigt Gemeinden mit einer 2/3 Mehrheit den Aufstellungsbeschluss von Bauleitplänen sowie dessen Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bürgerbegehren auszunehmen. Dadurch wird faktisch die Bauleitplanung aus den zulässigen Bürgerbegehren herausgenommen, sodass mehr als der Hälfte der derzeitigen Bürgerentscheide der Boden entzogen wird. Der Gesetzgeber begründet zudem nicht, warum es bei Bürgerbegehren und
-entscheiden Einschränkungen geben soll. Eine Begründung dürfte auch schwierig werden, da es keine Erkenntnisse darüber gibt, dass Verwaltungshandeln in der Vergangenheit durch Bürgerbegehren gelähmt wurde.
Der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christopher Vogt, erklärt dazu:
„Die schwarz-grüne Koalition hat mit diesem Gesetz kurz vor der Kommunalwahl einen fatalen Demokratieabbau betrieben. Insbesondere kleinere Parteien und Wählergemeinschaften werden durch die neue Regelung zur Fraktionsstärke in ihren Mitwirkungsrechten massiv beschnitten. Besonders bemerkenswert ist, dass CDU und Grüne in ihrer ursprünglichen Gesetzesbegründung noch selbst festgestellt hatten, dass eine solche Regelung von Teilen der Rechtsprechung als rechtswidrig eingestuft wird. Dieses Gesetz wird einen Großteil der Bürgerbegehren zur Bauleitplanung verhindern, denn es sieht vor, dass Bürgerbegehren bei einer Zweidrittelmehrheit zum Aufstellungsbeschluss als unzulässig erklärt werden können. Hierdurch wird mehr als der Hälfte der derzeitigen Bürgerentscheide der Boden entzogen.
CDU und Grünen geht es mit ihrem Gesetz darum, die Einflussmöglichkeiten ihrer Parteifreunde vor Ort zu vergrößern, indem sie andere Mitbewerberinnen und Mitbewerber sowie die Bürgerinnen und Bürger per Gesetz kleinmachen wollen. Damit läuten sie bundesweit eine Trendumkehr ein: Über Jahrzehnte wurden die demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten immer größer, in Schleswig-Holstein sollen diese nun erheblich beschnitten werden. Schwarz-Grün will ‚Weniger Demokratie wagen‘. Es ist wenig überraschend, dass die CDU dies gut findet, aber dass die Grünen das mitmachen, ist erstaunlich. Immerhin haben sie 2008 vor dem Bundesverfassungsgericht den Fall der Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen erstritten. Jetzt führen sie allerdings eine Neun-plus-X-Prozent-Hürde für die Bildung von Fraktionen in kommunalen Vertretungen ein. Das ist das völlig falsche Signal – gerade in diesen bewegten Zeiten!“
Lars Harms, der Vorsitzende der SSW-Fraktion, sagt:
"Wenn CDU und Grüne argumentieren, viele Fraktionen würden die parlamentarische Arbeit in den Gemeindevertretungen erschweren, dann stellen sie die Diskussion von den Füßen auf den Kopf. Denn das Gegenteil ist der Fall. Als Zusammenschluss von Mandatsträgern tragen Fraktionen erheblich zu einem disziplinierten Sitzungsablauf bei und erleichtern so die Entscheidungsfindung in den Kommunalparlamenten. Eine Anhebung der Mindestfraktionsstärke wird zu mehr politischer Fragmentierung führen, zu mehr fraktionslosen Mandatsträgern und zu erhöhtem Beratungs- und Koordinationsbedarf, weil nicht alle Strömungen schon in den Ausschüssen voll beteiligt werden.
Die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten ist als Staatsziel in Art. 6 der Landesverfassung verankert und ausdrücklich unter den Schutz von Land und Kommunen gestellt. Es liegt auf der Hand, dass der SSW als Partei der dänischen und der friesischen Minderheit von der Anhebung der Mindestfraktionsgröße betroffen sein kann, da wir in der Natur der Sache in der Minderheit sind. Dabei ist die politische Mitwirkung der Minderheiten gerade auf kommunaler Ebene so wichtig. Denn vor allem hier kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen über die finanzielle und kulturelle Gleichstellung der Minderheiten. Das Land ist seiner Schutzpflicht hier schlicht nicht nachgekommen. Und das ist verfassungsrechtlich zu beanstanden.
Schon in der Landtagssitzung habe ich ausgeführt, dass wir bei einer Kommunalvertretung von 31 Mitgliedern faktisch eine Sperrklausel von fast 10% haben, um eine Fraktion bilden und voll am politischen Meinungsbildungsprozess teilhaben zu können. Es ist denkbar, dass Wählerinnen und Wähler dies bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen - zulasten der betreffenden Parteien. Im Vorwege sind also die Erfolgsaussichten unterschiedlich groß und danach sind die Beteiligungsmöglichkeiten willkürlich beschnitten. Auch hier sehen wir einen Verstoß; nämlich gegen die Regelungen aus Artikel 4 Landesverfassung.
Und auch bei den Einschränkungen der Bürgerbeteiligungen sehen wir Regelungen, die gegen höherrangiges Recht verstoßen. Dass die Bauleitplanung nicht per Bürgerentscheid hinterfragt werden kann, wenn vorher in der Gemeindevertretung eine 2/3 Mehrheit für diese Planung vorhanden war, gleichzeitig aber bei einer Mehrheit von unter 66,7% alle Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger weiterbestehen, führt zu unterschiedlichen Situationen in Kommunen. Diese Kommunen befinden sich aber in ein und demselben Bundesland und da haben in den Kommunen auch die gleichen rechtlichen Grundlagen zu gelten. Das ist hier faktisch nicht der Fall.
Das, was Schwarz-Grün hier geschaffen hat, führt zu Chaos in der Kommunalpolitik, widerspricht Bestimmungen unserer Landesverfassung und richtet sich direkt gegen die Interessen der Bevölkerung. Deshalb lassen wir diese Regelungen nun überprüfen!"
Dr. Moritz von Rochow, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, einsteineins rechtsanwälte, ergänzt:
„Die Heraufsetzung der Mindestfraktionsgröße in den Gemeinden und Kreisen schränkt das kommunale Selbstverwaltungsrecht in unzulässiger Weise ein. Funktionsbeeinträchtigungen in der Lübecker Bürgerschaft rechtfertigen es nicht, pauschal die Organisationshoheit aller Kreise und Gemeinden im Lande zu beschränken. Dazu sind die Verhältnisse und Funktionen der kommunalen Vertretungen zu unterschiedlich.
Die Fraktionsgrößenregelung ist überdies mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar: In den betroffenen Gemeinden und Kreisen bewirkt die Heraufsetzung der Mindestfraktionsstärke eine faktische 9%-Sperrklausel, da fraktionslose Vertreter von einer Reihe von Mitwirkungsrechten und finanziellen Zuschüssen ausgeschlossen werden. Zudem ist die Regelung mit dem in der Landesverfassung verankerten Minderheitenschutz nicht vereinbar.
Auch die Neuregelungen zu Bürgerbegehren auf Gemeinde- und Kreisebene halten der verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand: Es widerspricht dem Grundsatz der Normenklarheit, dass eine Zweidrittelmehrheit im Bauausschuss einen Bürgerentscheid verhindern können soll, obwohl dieser Ausschuss nach der Gemeindeordnung allenfalls beratende Funktion hat. Durch unklare Rechtsbegriffe wird ferner einer Aushöhlung des Bürgerentscheids Tür und Tor geöffnet. Unter dem Vorwand, ein Bürgerbegehren sei „offensichtlich unzulässig“ und eine Zulässigkeitsprüfung „missbräuchlich“, kann eine Gemeinde- oder Kreisverwaltung dessen grundsätzliche Sperrwirkung umgehen und so, z.B. durch den Abriss eines Gebäudes, vollendete Tatsachen schaffen, die dann das Bürgerbegehren obsolet machen.
Mit der Heraufsetzung der Quoren für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sollte eigentlich die Verwaltung vereinfacht werden. Nur, das Gesetz erreicht das genaue Gegenteil: Je höher ein Quorum ist, desto mehr Unterschriften muss die Verwaltung mit den Melderegistern abgleichen. Darüber hinaus sind die für die Quoren gewählten Anknüpfungspunkte weder sach- noch realitätsgerecht. Damit verstößt das Gesetz gegen das verfassungsrechtliche Gebot der sach- und realitätsgerechten Typisierung. Hier wird z.B. auf Stadtgrößen Bezug genommen, die in Schleswig-Holstein gar nicht existieren. Letztlich ist der Gesetzgeber nach dem interkommunalen Gleichbehandlungsgebot gehalten, nicht ungleiche Sachverhalte willkürlich gleich zu behandeln. Städte wie Flensburg und Bad Schwartau hinsichtlich der Quoren in einen Topf zu werfen, ist nur erlaubt, wenn es hierfür eine stichhaltige Begründung gibt. Eine solche ist der Landesgesetzgeber schuldig geblieben.“